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Krawalle wegen Théo

Pariser Vororte erleben eine Welle der Gewalt nach der Misshandlung eines 22-Jährigen durch die Polizei.

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© dpa

Von Birgit Holzer, SZ-Korrespondentin in Paris

Immer wieder wallt die Wut auf. Jugendliche werfen Steine in Richtung der Polizisten, die mit Salven von Tränengas antworten. Vereinzelt brennen Autos und Mülleimer. Zuletzt gingen auch Schaufenster zu Bruch, öffentliche Gebäude wurden beschädigt.

Drancy, Argenteuil, Bobigny: Diese Pariser Vororte schaffen es nur selten in die Medien und wenn, dann meist in Zusammenhang mit Ärger und Unruhen. Sie gelten als vernachlässigte soziale Brennpunkte, wo Armut und Perspektivlosigkeit herrschen und die Arbeitslosigkeit traurige Rekordwerte erreicht, vor allem unter jungen Leuten. Unvergessen sind die Ausschreitungen, die diese sogenannten Banlieues im Herbst 2005 und 2007 erschütterten.

Auch in den vergangenen Tagen kam es in mehreren Vorstädten der französischen Hauptstadt zu Zusammenstößen von Jugendlichen mit der Polizei, wenn auch in weitaus geringerem Ausmaß als damals. Auf der Straße war nur eine kleine Zahl von Krawallmachern, während Hunderte Menschen auf friedliche Art und Weise „Gerechtigkeit für Théo“ forderten – einen 22-Jährigen, der zum Symbol für Polizeigewalt und Rassismus geworden ist.

Vor rund zwei Wochen war in Théos Heimatstadt Aulnay-sous-Bois, nordöstlich von Paris, eine routinemäßige Personenkontrolle eskaliert. Eine Videokamera nahm das Handgemenge auf, bei dem Polizisten dem schwarzen Franzosen zunächst mit Knüppeln auf Beine und Knie schlugen und ihm einer der Beamten schließlich seine Waffe in den Hintern rammte. Die Kamerabilder zeigen, wie Théo fällt, er danach nur mit großer Mühe aufstehen kann und abgeführt wird. Ein Arzt im Krankenhaus stellte später eine zehn Zentimeter tiefe Wunde in seinem Anus fest und schrieb ihn 60 Tage arbeitsunfähig. Die vier Beamten wurden vom Dienst suspendiert; gegen den Hauptakteur läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung.

Während dessen Anwalt argumentiert, sein Mandant habe Théo unabsichtlich so schwer verletzt, da er sich „in alle Richtungen“ gegen eine Festnahme gewehrt habe und seine Hose von selbst zu Boden gerutscht sei, sagte Théo aus, der Schlag sei „mit voller Absicht“ geschehen. Später im Einsatzwagen hätten ihn die Polizisten „mit Schlägen übersät, auf mich gespuckt, mich als Neger und Schlampe beschimpft“. Inzwischen berichtete ein ebenfalls schwarzhäutiger Freund Théos, auch er sei wenige Tage vorher im Zuge einer Polizeikontrolle brutal und grundlos misshandelt worden – einer der Beamten war derselbe.

Hollande am Krankenbett

Staatspräsident François Hollande besuchte Théo, der inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, an seinem Krankenbett und bezeichnete ihn als „vorbildlichen jungen Mann“. Auch kam er am Freitag in den Vorort Ivry-sur-Seine, um eine positive Botschaft auszusenden: „Ich wollte gerade in diesem Kontext zeigen, was funktioniert und was gelingt“, erklärte er. „Verwechseln wir nicht das, was passiert ist, mit dem, was sich täglich abspielt: ruhiges, friedliches Zusammenleben.“

Tatsächlich ist inzwischen wieder weitgehend Ruhe eingekehrt. Doch sie erscheint fragil. Denn der Vorwurf, die Polizei gehe besonders brutal gegen schwarze und arabischstämmige Franzosen in den einschlägigen Vororten vor, kommt regelmäßig auf. Im vergangenen Sommer starb der 24-jährige Adama Traoré, dessen Familie aus Mali kommt, bei einer Festnahme an einem Herzstillstand. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt. Der Sprecher einer Polizeigewerkschaft empörte nun mit der Aussage, der Ausdruck „Bamboula“ (also in etwa „Affe“) für einen Schwarzen solle zwar eigentlich nicht benutzt werden – sei aber doch „in etwa angemessen“.

Zugleich befinden sich auch Polizeibeamte unter großem Druck. Vor allem seit den Terroranschlägen und dem Ausnahmezustand, der in Frankreich seit November 2015 herrscht, sind sie einer permanenten Belastung ausgesetzt. Im Oktober griffen Jugendliche in einem als gefährlich bekannten Vorort einen Polizei-Kontrollwagen mit Molotow-Cocktails an und verletzten vier Beamte schwer; einer von ihnen trug lebensgefährliche Brandwunden davon und befindet sich bis heute in Behandlung.