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Kostenloses Wohnzimmerkonzert

Sogar Dresdens Norden konnte Mittwoch Depeche Mode live genießen. Und auch einige Ullersdorfer.

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© Grafik: SZ

Von Juliane Richter und Christoph Springer

Dresden. Was für ein Klang: Balkontür auf, entspannt auf der Couch zurücklehnen und Depeche Mode live genießen. In der Neustadt kamen am Mittwochabend viele Dresdner in den Genuss eines glasklaren Sounds. Ganz so als würde Frontmann Dave Gahan direkt vor dem Haus singen. Doch keineswegs. Die britischen Elektrorocker sind wie geplant im Ostragehege vor rund 50  000 Fans aufgetreten. Und doch haben viele Dresdner das Konzert ungewöhnlich laut und teilweise sehr klar zu Hause gehört. Auch in anderen Stadtteilen wie Klotzsche, Bühlau, Wilder Mann, Gruna und sogar Laubegast und Radebeul kam die Musik an. Aber wie geht das?

Schallwellen und Wetter in unschlagbarer Kombination

Mehrere Faktoren haben den guten Klang begünstigt. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) blies ein leichter Westwind mit etwa 13 Stundenkilometern und trug die Musik aus der Flutrinne in Richtung Osten. Windböen erreichten sogar etwa 35 Stundenkilometer. Zusätzlich herrschte eine Inversionswetterlage. In diesem Fall war die Luft am Boden kühler als in etwa 600 Metern Höhe. Normalerweise ist es umgekehrt. „Schallwellen werden an der Inversionsschicht gebrochen“, sagt Steffen Kleinert, Meteorologe beim DWD. Diese Luftschichtgrenze fing am Mittwoch schon in 300 Metern Höhe an. So wurde der Konzertsound zurück zum Boden geschickt und zugleich vom Wind in Richtung Osten getragen.

Freie Flächen und Hindernisse spielen eine Rolle

Akustikexperte Dr. Axel Roy sieht den Hauptgrund ebenfalls in der Inversionswetterlage, verweist aber außerdem auf die Beschallungstechnik. „Die Lautsprecher wurden in diesem Fall weit oben montiert. Je höher sie hängen, desto weiter strahlen sie. Außerdem gibt es direkt im Ostragehege keine Reflexionsflächen, die den Schall aufhalten könnten“, sagt er. Von der Bühne haben die Lautsprecher in Richtung Norden gezeigt. Über freie Flächen setzen sich die Schallwellen problemlos hinweg. Doch nicht überall entlang der Elbe, selbst im Innenstadtbereich, war die Musik gut zu hören. Die Brücken könnten hier Hindernisse dargestellt haben. Große Bauwerke reflektieren den Schall aber auch und lenken ihn dadurch in andere Richtungen. Das ist ein möglicher Grund für die klaren Liedzeilen in einigen Straßen der Neustadt.

250 Lautsprecher sorgen für den guten Klang auf dem Konzertareal

Dass das Depeche Mode-Konzert selbst gut zehn Kilometer entfernt in Laubegast noch zu hören war, verwundert Produktionsleiter Robert Lepper schon ein bisschen. „Wir haben ein Standardbeschallungssystem verwendet, das gut dimensioniert war“, sagt er. Gut dimensioniert heißt in dem Fall, dass rund 250 Lautsprecherboxen installiert wurden. Die im vorderen Bereich des Areals hingen fast säulenartig übereinander. „Das ist ein zylinderförmig abstrahlendes System, mit dem man die Fläche relativ punktgenau bestrahlen kann.“ Hinzu kamen noch vier große Tower im hinteren Konzertgelände. Diese sollen auch dort eine optimale Akustik sichern, falls starker Wind herrscht. Lepper war mit der Akustik vor Ort zufrieden. Dass auch viele andere Dresdner ohne Ticket mitgehört haben, müsse man bei Open-Air-Konzerten akzeptieren.

Einige Dresdner fühlten sich von der Musik gestört

Nicht jeder hat sich über das kostenlose Konzert gefreut. Bei der Polizei gingen rund ein Dutzend Beschwerden wegen Ruhestörung ein. Diese Anzahl ordnet Polizeisprecher Marko Laske bezogen auf die Größe der Stadt und des Konzerts als „überschaubar“ und nicht ungewöhnlich ein. Ähnlich sieht es das Dresdner Umweltamt. Dort sind sechs Beschwerden eingegangen und damit mehr als beim letzten Großkonzert in der Flutrinne. 2015 war ACDC vor Ort. „Großkonzerte dieser und ähnlicher Art sind auch Bestandteile großstädtischen Lebens, die trotz nachteiliger Auswirkungen nicht vollständig wegzudenken sind“, sagt eine Stadtsprecherin.

Selbst die Schafe aus der Flutrinne haben den Abend gut überstanden

Schäfer Steffen Vogel lässt normalerweise rund 700 Schafe in der Flutrinne grasen. Am Konzerttag hat er die Tiere nahe des Schlachthofareals eingezäunt. „Das war der ruhigste Ort im Ostragehege.“ Gestern hat er sich vom Zustand der Tiere überzeugt. „Sie haben trotz der Lautstärke keinen Schaden genommen.“