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Kontrollwahnsinn am Wiener Platz

Den dritten Tag in Folge ist die Polizei gegen mutmaßliche Drogendealer in Dresden vorgegangen.

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© Christian Juppe

Von Tobias Wolf und Alexander Schneider

Die Sonne brennt, das Thermometer zeigt 33 Grad im Schatten. Vor dem Hauptbahnhof auf dem Wiener Platz sind am Freitag nicht mehr viele Plätze unter den Sonnenschirmen der Cafés frei. Unauffällig auffällig radelt ein junger Mann mit südländischem Äußeren immer wieder hin und her – vom Kugelhaus zur Prager Spitze und zurück. Ob er die Lage für ein Drogengeschäft im schattigen Durchgang zur Straßenbahnhaltestelle checken soll?

Zugriff am Wiener Platz

Am Freitag hat erneut eine Razzia am Wiener Platz stattgefunden, um gegen die Drogenkriminalität in Dresden vorzugehen.
Am Freitag hat erneut eine Razzia am Wiener Platz stattgefunden, um gegen die Drogenkriminalität in Dresden vorzugehen.

Dann wird der sommerliche Entspannungsmoment jäh gestört. Ein Polizei-Sprinter rast heran, biegt in die Gasse hinter dem Kugelhaus ein. Fünf Uniformierte springen heraus und rennen los. Fünf Verdächtige haben sie im Visier. Drei setzen sie sofort fest, die anderen rennen in zwei Richtungen davon – direkt in die Arme anderer Polizisten. Mit Kabelbindern gefesselt werden sie zur Sammelstelle zwischen der Baustelle am Wiener Loch und dem Kugelhaus gebracht. Immerhin in den Schatten.

Gleich bei der ersten Leibesvisitation werden die Polizisten fündig: Der Mann mit dem dunklen Teint lehnt an der Glaswand des Musikparks, muss alle Taschen ausleeren. Ein Klipptütchen, vielleicht vier mal fünf Zentimeter, gefüllt mit einem weißen kristallinen Pulver kommt zum Vorschein. Ob es sich um Crystal handelt, ist unklar. „Vermutlich Betäubungsmittel“, ist alles, was eine Polizistin dazu sagt. Die anderen vier schauen zu. Sie wissen, dass sie auch gleich dran kommen.

Noch Minuten zuvor schien alles ruhig zu sein. Cafébesucher schlürften Eiskaffee. Wenn sie wollten, hätten sie einen Jugendlichen sehen können, der wohl seinen persönlichen Dealer suchte. Er guckte in jedes Gesicht der etwa 20 Männer am Wiener Platz. Er schien ihn nicht zu finden, zog unverrichteter Dinge ab. Zwei der mutmaßlichen Drogenhändler redeten miteinander, ein Tütchen wechselte den Besitzer, die Wege trennten sich. Das Gebiet ist längst zu einem offenen Drogenmark geworden.

Auf Tütchensuche sind auch die Polizisten in der Gasse hinterm Kugelhaus. Einer der Verdächtigen hat bei seiner Flucht eins weggeworfen. Der Kies neben jedem Bäumchen wird akribisch durchsucht. Inzwischen sind weitere Polizisten eingetroffen, sichern die Umgebung, während die Durchsuchungen weiter gehen.

Laden- und Restaurantbesitzer am Wiener Platz sind das Versteckspiel schon lange gewohnt. „Wenn die Dealer Uniformen sehen, sind die weg“, sagt eine Gastronomin Mitte 50: „Als die Polizisten am Donnerstag kamen, ist auch ein Großteil sofort weg gewesen.“ Seit Februar vergangenen Jahres rückt die Polizei regelmäßig zur Kontrolle an. Anwohner und Gewerbetreibende hatten sich über zunehmende Probleme beschwert. Vor allem Nordafrikaner würden offen mit Drogen handeln, es werde viel gestohlen, Kunden würden angepöbelt und belästigt. Diese Woche fanden die bislang wohl aufwendigsten Einsätze statt. Von Mittwoch bis Freitag rückten täglich bis zu 40 Beamte in Uniform und Zivil zum Wiener Platz aus. Immer spätnachmittags, immer unangekündigt. Am Freitag war es bereits Kontrolle Nummer 28.

Der Aufwand scheint sich zu lohnen. Schon am Mittwoch fassten die Beamten fünf Verdächtige mit Drogen – drei Deutsche, die Drogen gekauft hatten (17, 25, 26), zwei mutmaßliche Dealer aus Tunesien (beide 26). Einer der Verkäufer hatte ein gestohlenes T-Shirt bei sich. Er sitzt nun in Untersuchungshaft. Am Donnerstag kontrollierte die Polizei 59 Leute. Bei vier Nordafrikanern (19, 28, 32, 33) wurden Drogen gefunden. Der 19-Jähriger hatte Crystal und Cannabis dabei, ein 32-Jähriger 20 Gamm Haschisch und sechs Tütchen mit Cannabis. Im Rucksack eines weiteren 32-jährigen Tunesiers fanden die Beamten frisch gestohlene Kleidungsstücke im Wert von über 300 Euro. Die Ergebnisse der Razzia vom Freitag waren noch nicht bekannt.

Neben der Polizei sind die Probleme rund um den Wiener Platz auch bei der Stadt inzwischen ein Thema. Der Jugendhilfeausschuss habe die Straßensozialarbeit verstärkt und zwei Vollstellen, die bei der Treberhilfe angesiedelt sind, finanziert, sagte Rathaussprecher Kai Schulz auf SZ-Anfrage. Ob es den Streetworkern gelingt, die Szene zu erreichen? Man müsse abwarten. Auch das Citymanagement ist eingeschaltet, um ein Problembewusstsein zu schaffen, auch bei den Immobilienbesitzern. Erst im Juni diskutierte auch der Kriminalpräventive Rat, in dem sich Stadträte mit Vertretern des Rathauses, der Polizei und der Staatsanwaltschaft austauschen, das Thema. Das Ergebnis ist jedoch bislang ernüchternd. „Die Strukturen werden wir nicht zerschlagen“, sagte Schulz. Allenfalls ließe sich eine Verdrängung erzielen. Kurz: Eine Patentlösung gibt es nicht.

Und so schielen viele wieder auf die Polizei, dort weiter Druck auf das unliebsame Klientel auszuüben. Im Vodafone-Shop in den Prager Spitzen etwa rufen die Mitarbeiter noch immer sofort die Polizei, wenn wieder gestohlen wird. In einem nahen Bekleidungsgeschäft hat man das längst aufgegeben. Entweder die Verkäufer selbst können dem Dieb die Beute entreißen, oder eben nicht. Die Polizei rufen sie dort schon lange nicht mehr.