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Komm, wir teilen uns ein Flugzeug

Per Anhalter durch die Lüfte? Die Mitflugzentrale Wingly macht’s möglich. Auch in Pirna-Pratzschwitz kann man jetzt bei Privatpiloten zusteigen.

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© Daniel Förster

Von Jörg Stock

Pirna. Er steht an der Tankstelle, hat Tobias gesagt. Ein üblicher Ort, um jemanden zu treffen, der einen mitnimmt. Aber hier tanken keine Autos, sondern Flugzeuge. Tobias, blaue Jacke, Brille, gemütliche Statur, zieht eben die Zapfpistole aus einer schneeweißen Propellermaschine. Das gute Super schwappt bis zum Rand. Es würde reichen für Nürnberg und zurück, sagt er. Aber so weit will er gar nicht. Eine Runde über die Heimat hat er vor, und ich darf einsteigen, bei meiner ersten Mitfluggelegenheit.

Beim Briefing werden Wetter und Route besprochen.
Beim Briefing werden Wetter und Route besprochen. © Daniel Förster
Tschüss Pirna – der Take-off ist geglückt.
Tschüss Pirna – der Take-off ist geglückt. © Daniel Förster

Großer Ausblick aus dem kleinen Flieger

Von Pirna Richtung Landeshauptstadt Nach dem Take-off in Pratzschwitz folgen wir der Elbe und erblicken bald den Dresdner Fernsehturm. Davor sind die Häuser von Niederpoyritz zu sehen.
Von Pirna Richtung Landeshauptstadt Nach dem Take-off in Pratzschwitz folgen wir der Elbe und erblicken bald den Dresdner Fernsehturm. Davor sind die Häuser von Niederpoyritz zu sehen.
Kreiseln über Dresdens Mitte Das Filetstück von Dresden liegt zum Greifen nahe mit Schloss, Kathedrale und Frauenkirche. Vorn links sind die Buden des Striezelmarkts auszumachen.
Kreiseln über Dresdens Mitte Das Filetstück von Dresden liegt zum Greifen nahe mit Schloss, Kathedrale und Frauenkirche. Vorn links sind die Buden des Striezelmarkts auszumachen.
Kurs auf den Airport Dresden International Wenn Verkehrsflugzeuge nicht gestört werden, dürfen Hobbypiloten den Landeanflug üben, müssen dabei aber wenigstens fünf Meter über der Piste bleiben.
Kurs auf den Airport Dresden International Wenn Verkehrsflugzeuge nicht gestört werden, dürfen Hobbypiloten den Landeanflug üben, müssen dabei aber wenigstens fünf Meter über der Piste bleiben.
Blick ins größte Schlagloch der Gegend Die Altenberger Pinge, entstanden ab 1620 durch Einbruch von Grubenbauen, ist heute 400 Meter breit und etwa 130 Meter tief.
Blick ins größte Schlagloch der Gegend Die Altenberger Pinge, entstanden ab 1620 durch Einbruch von Grubenbauen, ist heute 400 Meter breit und etwa 130 Meter tief.

Was beim Autofahren längst gang und gäbe ist, nämlich Sitze und Kosten zu teilen, hat auch beim Fliegen seinen Sinn. Das dachten sich die Erfinder der Mitflugzentrale Wingly. Im Frühjahr 2015 brachten sie den Internetmarktplatz ans Netz. Die Idee: Privatpiloten inserieren ihre freien Sitze für Streckenflüge oder Freizeittrips, flugbegeisterte Passagiere buchen und zahlen anteilig für Flugzeugmiete, Sprit und eventuelle Landegebühren. Profit wird dabei nicht gemacht, versichert die Wingly-Zentrale in Paris. „Es geht um die Demokratisierung der leichten Luftfahrt.“

Die Idee zündet offenbar. Über 16 000 Flüge sind aktuell buchbar, in Frankreich, Deutschland und Großbritannien, auch in Osteuropa, im hohen Norden, sogar in der Karibik. Mehr als 8 600 Hobbypiloten haben sich bei Wingly angemeldet – Tendenz steigend. Die Zahl der registrierten Mitflieger liegt inzwischen bei knapp 110 000.

Ich habe eine Dreiviertelstunde Rundflug ab Pirna-Pratzschwitz bestellt. Der Preis: 91 Euro, inklusive Service-Gebühr und Zusatzversicherung. Tobias Anton, meinen Piloten, treffe ich zum ersten Mal. Ich weiß, dass er Dresdner ist, Jahrgang 1992, Produktdesigner lernt und seit 2010 einen Pilotenschein hat. Sonst kenne ich nur seine Stimme, die mir gestern Abend erklärt hat, wie das Wetter wird. Doch auch Tobias muss sich überraschen lassen. Internetprofil, Mailverkehr und Telefon müssen ihm reichen, um zu entscheiden, ob er einen Fluggast akzeptiert oder nicht. „Die Chemie muss stimmen“, sagt er.

Vorflugkontrolle. Tobias kreiselt um die Maschine, streicht mit der Hand über die Kunststoffhaut, sucht nach Scharten oder Rissen. Schäden entstehen meist am Boden, beim Räumen und Rangieren. Auch wenn sein fürsorgliches Tun es nahelegt: Der Flieger, Kostenpunkt an die 50 000 Euro, ist nicht seiner. Er muss ihn chartern wie einen Mietwagen. Da kommt es ihm gelegen, wenn jemand die Ausgaben decken hilft. Und außerdem, sagt er, macht das Fliegen zu zweit mehr Laune.

Seifenkistenfeeling im Cockpit



Auf zum Boarding! Sachte fädelt man die Gliedmaßen in das kuschelige Cockpit ein. Seifenkistenfeeling. Tobias geht die Belehrung durch. Vor allem der rote Griff in unserem Rücken ist wichtig. Es ist der Auslöser für den Fallschirm, der notfalls, per Rakete abgeschossen, die ganze Maschine trägt. „Wenn ich ohnmächtig werde, kräftig nach vorn ziehen“, sagt Tobias. „Ist aber noch nie passiert.“ Auch wissenswert: der Platz der Kotztüte in der seitlichen Ablage. Bitte zeitig Bescheid geben, wenn der Magen rebelliert, bittet der Pilot. Dann nimmt er das Tempo raus. Es hilft, erklärt er, wenn man statt mit hundertachtzig nur mit hundert durch die Turbulenzen steuert.

Motor an und auf zum Start. Piste Drei-Null ist unsere. Zündkreise getestet, Öltemperatur okay. Vom „Tower“, einem ausgemusterten Kastenwagen mit geringeltem Luftsack überm Dach, kommt die Freigabe. Tobias zieht den Gasgriff, die Maschine schießt vorwärts, prescht über die Grasnarbe, schwingt sich in die Luft. Der Magen ist dagegen, will lieber auf der Erde bleiben, muss aber mit, fügt sich auch, mit leisem Kribbeln. 120 Stundenkilometer zeigt der Fahrtmesser. Wir steigen und steigen, fünf Meter pro Sekunde, mitten hinein in den blauen Pirnaer Himmel.

Bald sind wir auf 2 000 Fuß, etwa 600 Meter. Unter uns die Elbaue, Häuser, Autos, Pferde, ein großes, buntes Spielzeugland. Unser Flieger bebt, macht kleine Hopser. „Ziemlich viel Wind heute“, knarzt Tobias im Kopfhörer. Im Handumdrehen erreichen wir Dresden, drehen einen Kreisel über der Altstadt – Staatskanzlei, Altmarkt, Dynamo-Schüssel, Großer Garten. Notfalls könnten wir dort landen, erklärt Tobias. Doch unser Propeller rotiert munter. Der Propeller ist ja zur Kühlung des Piloten da, witzelt er. „Wenn er stehenbleibt, kommt der Pilot ins Schwitzen.“

Einschwenken auf den Airport Dresden International. Der Tower hat uns einen Tiefanflug erlaubt. Als wären wir eine Aeroflot oder KLM sinken wir auf die riesige Rollbahn hernieder, sehen rote Signalfeuer und schwarze Bremsstreifen. Dann starten wir durch und drehen zügig ab. Schon nähert sich eine Lufthansa, wahrscheinlich aus Frankfurt oder München. An den Flughäfen heißt es aufpassen, sagt Tobias, dass man nicht zum Verkehrshindernis wird. „Die anderen sind viel, viel schneller.“

Wir verlassen den heiklen Luftraum mit Kurs auf die Sächsische Schweiz. Tobias gibt den Reiseführer, erläutert das Liliputland unter unseren Tragflächen. Er genießt die Tour. Er ist zwar fast jedes Wochenende auf dem Flugplatz, aber längst nicht nur zum Fliegen. Auf eine Stunde Flugzeit kommen etwa fünf Stunden Arbeit am Boden. Der Erzgebirgskamm. Düstere Wolken fransen Richtung Erde aus. „Flieg’ nie in eine Wolke rein, es könnte schon jemand drinne sein“, reimt Tobias. Wir kehren lieber um. Gleich wird das Spielzeugland wieder groß werden, meine Mitfluggelegenheit vorbei sein. Tobias aber wird sich neue Mitflieger suchen. Und bestimmt wird er sie auch finden. „Fliegen ist einfach schön.“ www.wingly.io