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Kohl und Meißen

Der einstige Bundeskanzler war 1988 heimlich in der DDR, sorgte für Begeisterung, brach aber auch ein Versprechen.

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© Robert Michael

Von Udo Lemke

Meißen. Es war im Mai 1988, ein heißer Tag und gerade Prüfungszeit, als Studenten durch die Gänge liefen und erklärten, Helmut Kohl sei da. Zuerst habe man eher an einen Prüfungskoller als an die Wahrheit gedacht. Und: „Der Besuch des damaligen Bundeskanzlers kam so überraschend, dass niemand einen Fotoapparat dabei hatte, sodass es keine Aufnahmen von der Begegnung gibt“, erzählt Bernhard Dittrich, der Pfarrer der katholischen St.-Benno-Gemeinde Meißen.

Damals , gut ein Jahr vor dem Ende der DDR, war Dittrich noch Leiter des Priesterseminars in Erfurt – der einzigen Einrichtung zur Ausbildung des geistlichen Nachwuchses in der DDR. „Ich glaube, er wollte seiner damaligen Frau Hannelore etwas Gutes tun, die die DDR, vor allem aber Sachsen, sehen wollte. Kohl war an einem Gespräch mit den Studenten interessiert, und der damalige Erfurter Bischof Joachim Wanke musste geholt werden.“

Im Gespräch mit den Studenten kam die Rede auf die Deutschen in Rumänien, die das Land damals verlassen wollten. „Die Deutschen in Rumänien, die kaufen wir alle raus“, habe Kohl gesagt und in seinen Ohren habe das ein bisschen selbstherrlich geklungen, so Bernhard Dittrich, der heute in Meißen, Lommatzsch, Nossen und Wilsdruff insgesamt 2 500 Mitglieder seiner Gemeinde betreut. „Kohl war eine Erscheinung, schon von seiner Gestalt her, und was er sagte, das hatte Gewicht.“

Interesse an den Menschen gezeigt

Für Pfarrer Bernhard Dittrich sind Kohls Verdienste um die deutsche Einheit unbestritten. Aber in einer anderen Hinsicht habe Kohl einen schwachen Eindruck hinterlassen. „Eine Zeit nach dem Besuch Kohls im Seminar rief sein damaliger Sprecher Friedhelm Ost in Erfurt an. Kohl wollte sich erkenntlich zeigen. Ich wusste auf die Schnelle nicht, was wir uns wünschen könnten, da fiel mir ein, dass das Dach im kommenden Jahr repariert werden sollte, und erbat eine Spende dafür.“

Dann hätten sie gewartet, aber nichts geschah. Auf Nachfrage wurde dem Seminar später beschieden, man solle doch Geld aus der Transitpauschale für die Dachreparatur nehmen. Diese Pauschale war eine Straßenbenutzungsgebühr, die die DDR von der BRD für die Benutzung der Transitstrecken nach Westberlin verlangte. „Er hätte ja nichts versprechen müssen, so aber lagen Glanz und Elend seiner Person für mich nah beieinander“, erklärt Bernhard Dittrich.

Nach Meißen selbst ist Kohl bei seiner Geheimreise 1988 nicht gekommen. Allerdings war er am 10. Juni 2005 auf Einladung der Kreis-CDU zu Gast auf der Albrechtsburg. Dort hielt der Altkanzler einen Vortrag zu einem Thema, das nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat: „Deutscher Patriotismus im vereinten Europa“. Dabei geht es etwa um die Frage, was die Gesellschaft angesichts tiefgreifender Wandlungsprozesse zusammenhält.

Wie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Selbstvertrauens, der Selbstachtung und des Selbstbewusstseins geschaffen werden kann? „Wie erhält Patriotismus eine zukunftsgerichtete Perspektive, die nach der Überwindung der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts auch eine europäische Dimension hat?“, fragte die veranstaltende Konrad-Adenauer-Stiftung seinerzeit.

„Er war vor seinem Vortrag bei uns und um neun abends kam ein Anruf, als die Veranstaltung zu Ende war, ob er noch einmal kommen könnte“, erzählt Gottfried Herrlich vom historischen Restaurant „Vincenz Richter“. Dort hat der Altkanzler das Meißner Menü gegessen, drei Gänge, beginnend mit Weißweinbouillon, über rosa gebratenes Kalbsrückensteak mit Kartoffelbaumkuchen in Form der Domtürme bis hin zum Rieslingeis.

Gottfried Herrlich erinnert sich gern an den Besuch, „nicht weil es der Bundeskanzler war, sondern, weil er sich wirklich für uns interessiert hat.“ Kohl habe gefragt, wie es möglich gewesen sei, ein solches privates Restaurant durch die DDR-Zeiten zu bringen. „Und später kam sogar noch ein Schreiben, in dem er mitteilte, dass er wieder bei uns vorbeikommen würde, wenn er in der Gegend sei.“

Dazu wird es nun nicht mehr kommen – geblieben sind Fotos und ein Eintrag im Gästebuch vom Besuch des berühmten Gastes.