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Königliche Runde

Vor 50 Jahren wurde Gudrun Reichardt zur ersten Ortsweinkönigin von Diesbar-Seußlitz gewählt. Der Titel ist sachsenweit einzigartig.

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© Sabine Herrmann

Von Antje Steglich

Diesbar-Seußlitz. Die Idee, in Diesbar-Seußlitz eine Weinkönigin zu wählen, entsteht aus einer Weinlaune heraus. Wie könnte das in dem kleinen Winzerort an der Elbe auch anders sein. „Da kam im Dorfklub, der damals für die Kulturarbeit zuständig war, der Gedanke auf: Wir brauchen eine Weinkönigin“, erinnert sich Gudrun Reichardt an das Jahr 1968. Sie selbst ist damals gerade 30, als man das Jubiläum „700 Jahre Weinbau in Diesbar-Seußlitz“ mit Ausstellungen, Festumzug und großer Weinprobe plant. Diesbar-Seußlitz ist laut Chronik die erste Gemeinde in der DDR, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigene Ortsweinkönigin krönen will. „Da kam erst einmal die Diskussion auf, ob wir das überhaupt dürfen“, sagt Gudrun Reichardt lachend. Die Diesbar-Seußlitzer dürfen. Und obwohl das Jubiläum irrtümlicherweise vier Jahre zu früh gefeiert wird, wie sich im Nachhinein herausstellt, hat der Ort die eigene Königin bis heute behalten.

Seit 50 Jahren wird in Diesbar-Seußlitz alle zwei bis drei Jahre eine Ortsweinkönigin gekrönt – 22 sind es bislang gewesen. Bis heute gibt es im Freistaat neben der sächsischen Weinkönigin nur diese eine Ortsweinkönigin. Und auch deutschlandweit ist es eher üblich, neben den insgesamt 13 Gebietsweinköniginnen lediglich Weinprinzessinnen zu wählen, heißt es vom Weinbauverband.

Der Königinnen-Titel klinge aber auch nach mehr, als er eigentlich ist, sagt Gudrun Reichardt, die 1968 bis 1971 erste Repräsentantin des Winzerdorfes war. „Man hat mich gefragt. Und ich habe erst gedacht, das bedeutet viel mehr Arbeit für mich“, so die heute 80-Jährige. Aber das Amt bringe vor allem repräsentative Pflichten auf den wenigen großen Festen im Ort mit sich. Wie der großen Weinprobe zum Beispiel. Das sei für sie gut zu händeln gewesen, sagt Gudrun Reichardt. Hauptberuflich arbeitete sie damals im Büro, im Nebenerwerb als Winzerin. Gudrun Reichardt, deren Großvater als einer der ersten veredelte Reben nach Sachsen brachte, sind Traditionen wichtig. Auf den 17 Terrassenbergen der Familie wachsen bis heute die für Sachsen typischen Sorten wie Goldriesling, Traminer und – ihr Lieblingswein – der Weißburgunder. Auch mit 80 hilft sie noch beim Schneiden der Reben oder beim Binden mit. „Wenn nur die Treppen nicht wären“, sagt Gudrun Reichardt, die seit 1970 auch die Weinbaugemeinschaft Diesbar-Seußlitz als Vorsitzende prägte. Ganze 30 Jahre lang. Trotzdem bleibt Zeit für ein Hobby. Denn noch eine andere Diesbar-Seußlitzer Tradition ist ihr wichtig: der Winzerinnenchor.

Erstes Treffen der Weinhoheiten

Seit Ende der 1980er singen darin viele der Diesbar-Seußlitzer Weinköniginnen mit, unzählige Lieder über den Wein und die Region entstehen. „Wir singen vor allem lustige und gesellige Stücke. Doch mittlerweile bin ich die letzte verbliebene Weinkönigin im Chor – und so gut singe ich auch nicht mehr“, sagt Gudrun Reichardt. Zum Treffen der Ortsweinköniginnen am vergangenen Sonntag im Haus des Gastes in Diesbar-Seußlitz ist der Auftritt des Chores trotzdem mehr als passend. – Es ist das erste Treffen der bisherigen Königinnen überhaupt, das von Weinbauverband Diesbar-Seußlitz und Tourismusverein Elbweindörfer anlässlich des Jubiläums organisiert wird.

„Wir suchen bereits nach weiteren Kandidatinnen. Sagen Sie Ihren Töchtern und Enkelinnen schon mal Bescheid“, sagt Weinbauchef Steffen Mühle den Gästen, die mit einem „Benno von Meißen“-Riesling am Weinberg hinter dem Seußlitzer Schloss anstoßen. Mittendrin auch die aktuelle Ortsweinkönigin, die Studentin Lisa-Marie Queißer, die 2017 gekrönt wurde. Die nächste Wahl ist für 2019 geplant, sagt Steffen Mühle. Und eine der kommenden Königinnen könnte durchaus wieder aus dem Hause Reichardt kommen. Nachdem schon die beiden Töchter von Gudrun Reichardt, Sabine und Gerlind, das Amt innehatten, führt vielleicht auch irgendwann die zwölfjährige Enkelin die Tradition weiter, sagt Gudrun Reichardt: „Wenn sie den will und auch hierbleiben sollte.“