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Kochstunde im Stahlwerk

Zweimal im Jahr gibt das Freitaler Edelstahlwerk Einblick in seine Produktion. Die SZ war dabei.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Carina Brestrich

Freital. Der gelbe Helm ist Pflicht. Ohne gibt es keinen Zutritt zu den Produktionshallen. Und auch helle Schuhe oder kurze Hosen sind an diesem Tag die falsche Wahl. Doch wer das Edelstahlwerk in Freital betritt, der weiß, worauf er sich einlässt. Den Helm auf dem Kopf, die Schutzbrille in der Hand und feste Schuhe an den Füßen, stehen fast 40 Menschen vor dem Verwaltungsgebäude des BGH Edelstahlwerks Freital – bereit zur ausgebuchten Führung.

Das Freitaler Edelstahlwerk stellt sich vor

Die Pfanne für den Ofen In riesigen Eisenkübeln, den Pfannen, wird der Stahl im Elektrolichtbogenofen geschmolzen. Sie können bis zu 44 Tonnen Stahl fassen.
Die Pfanne für den Ofen In riesigen Eisenkübeln, den Pfannen, wird der Stahl im Elektrolichtbogenofen geschmolzen. Sie können bis zu 44 Tonnen Stahl fassen.
Von der Stange zum Draht Im Werk entstehen Stabstähle und Drähte. Eine zwölf Meter lange Stahlstange kann zu einem Draht von mindestens fünf Kilometer Länge gezogen werden.
Von der Stange zum Draht Im Werk entstehen Stabstähle und Drähte. Eine zwölf Meter lange Stahlstange kann zu einem Draht von mindestens fünf Kilometer Länge gezogen werden.
Tour durchs Werk Jerome Wirthgen erklärt den Besuchern die einzelnen Produktionsschritte. Er hat selbst im Edelstahlwerk gelernt und betreut jetzt die Azubis im Werk.
Tour durchs Werk Jerome Wirthgen erklärt den Besuchern die einzelnen Produktionsschritte. Er hat selbst im Edelstahlwerk gelernt und betreut jetzt die Azubis im Werk.

Vor ihnen steht Jerome Wirthgen. Als betrieblicher Ausbilder betreut er die Lehrlinge im Werk, führt Schulklassen aber auch andere Besuchergruppen durch die Hallen. Zweimal im Jahr bietet das Edelstahlwerk öffentliche Führungen an. „Wir wollen den Freitalern zeigen, was hier eigentlich gemacht wird“, sagt Wirthgen. Er selbst hat im Stahlwerk Verfahrensmechaniker gelernt, ohne vorher selbst zu wissen, was im Stahlwerk eigentlich passiert, gibt er zu. Bei seinen heutigen Gästen aber muss er sich keine Gedanken machen. Viele sind alte Hasen im Metier: „Unsere Führungen sind auch bei alten Stahlwerkern beliebt“, sagt er.

Schon immer ein Stahlwerker

Dazu gehört auch Klaus Sirach. Der 77-Jährige hat sein ganzes Arbeitsleben im Freitaler Edelstahlwerk verbracht. 1961 kam er nach Freital, frisch vom Studium in Riesa. Im Werk war er bis zur Rente in der Schmiede tätig, kümmerte sich dort um die Arbeitsvorbereitung. „Das war eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit“, erzählt er. Auch heute noch werden in der Schmiede Sonderwünsche für die Kunden erfüllt. Mit früher aber sei die ganze Produktion heute freilich nicht mehr vergleichbar, sagt Sirach. Der gebürtige Meißner kennt die Zeiten, als das Freitaler Werk 5 000 Mitarbeiter zählte und noch fünf Öfen brannten.

Heute sind etwa 710 Mitarbeiter im Edelstahlwerk beschäftigt. Herzstück der Produktion ist der Elektrolichtbogenofen. In einem Eisenkübel – der sogenannten Pfanne – erhitzt, kann er 44 Tonnen Stahl innerhalb von anderthalb Stunden zum Schmelzen bringen. Zurecht erinnern die Begrifflichkeiten eher an Küchenvokabular, sagt Wirthgen. „Stahlschmelzen ist wie Kochen“, sagt er, „jeder Stahl hat eine andere Rezeptur.“

Möglich sind im Freitaler Werk bis zu 700 Stahlarten, 70 sind in Form von Stabstahl und Draht immer auf Lager. Von dort aus wird die ganze Welt beliefert, unter anderem die Automobil- und Bergbauindustrie. Verwendung finden die Stähle aus Freital aber auch in Turbinen, Baumaschinen oder in der Medizintechnik, in Zahnarztbohrern und Implantaten etwa. „Im medizinischen Bereich wird sehr reiner Stahl benötigt. Auch solche Qualitäten können wir hier erreichen“, erklärt Wirthgen.

Auch Gunter Ehrlich aus Pirna zählte einst zu den Abnehmern. Nach der Wende machte er sich mit seinem eigenen Betrieb selbstständig. Die Firma fertigt Kunststoffteile für die Automobilindustrie, baut dafür auch die Werkzeuge – mit Stahl aus Freital. 2014 verkaufte Ehrlich die Firma und ging in den Ruhestand. „Jetzt als Rentner habe ich die Zeit, um mir mal anzusehen, wie der Stahl, den wir verarbeitet haben, überhaupt hergestellt wird“, sagt er. Mit drei alten Bekannten ist er zur Führung gekommen. Jeder hat einen Bezug zum Freitaler Edelstahlwerk.

So wie Jochen Schaarschmidt. Er erlebte die Nachwendezeit im Edelstahlwerk mit. Als Betonfacharbeiter in einer Firma angestellt, war er von 1990 bis 1996 im Edelstahlwerk beschäftigt. Damals wurde das Werk umfangreich modernisiert. Schaarschmidt und seine Kollegen, die bei einer Firma angestellt waren, bauten unter anderem das Fundament für den Schmelzofen. „Wenn geschmolzen wurde, konnten wir keinen Beton machen“, erzählt er. So zogen sich die Arbeitstage von sechs Uhr morgens bis teils Mitternacht. Dennoch blickt Schaarschmidt gern auf den Auftrag in Freital zurück, der zu den größten in seinem Arbeitsleben zählt. „Es war eine schöne Zeit. Man hatte einen festen Arbeitsplatz und seine Truppe, auf die man sich verlassen konnte“, sagt er. Wie viele ist er heute erstaunt, wie sich das Werk entwickelt hat – im positiven Sinne. „Nur der Staub, der ist geblieben“, sagt er und lacht.

Die nächste Führung im Edelstahlwerk ist am 23. August. Treff ist um 9 Uhr am Pförtnergebäude. Anmeldung unter Tel. 0351 6462583