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Knutschkugel im Doppelpack

Vor 50 Jahren hat sich Lothar Günther in eine BMW Isetta verguckt. Die Liebe hält bis heute. Nun hat er zwei.

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© André Braun

Von Dagmar Doms-Berger

Reichenbach. Schauen Sie, das ist sie. Mit Freude zeigt Lothar Günther (70) seine BMW Isetta. Klein, fast rund, die hinteren Räder sind in einer geringeren Spurweite angelegt. Der Volksmund hatte sie schon vor Jahrzehnten liebevoll als Knutschkugel bezeichnet. Passender geht’s nicht. Mit Gefühl öffnet Günther die Fronttür und bittet, Platz zu nehmen.

Mit klassisch kariertem Bezugsstoff ist die durchgängige Sitzbank bespannt. Wer Platz nehmen möchte, muss durch die Fronttür.
Mit klassisch kariertem Bezugsstoff ist die durchgängige Sitzbank bespannt. Wer Platz nehmen möchte, muss durch die Fronttür. © André Braun

Wie bei einem Kühlschrank klappt sich die Tür bei diesem Gefährt nach vorn auf. Klassisch karierter Bezugsstoff überspannt die durchgehende Sitzbank. Das feingliedrige Lenkrad ist an der Tür montiert und schwenkt beim Öffnen nach außen.

Nach dem Schließen der Tür gleitet das Lenkrad dem Fahrer direkt in die Hände. Start. Sogar ein Armaturenbrett ist montiert. Schmal, aber vorhanden. Der Einzylinder-Viertaktmotor bringt eine Leistung von 13 PS bei 300 Kubikzentimetern. Die Isetta, Baujahr 1957, hat Lothar Günther, damals noch Student der Hochfrequenztechnik über eine Anzeige gekauft. BMW produzierte die Gefährte von 1955 bis 1962. In Einzelteilen hat er sie abgeholt, kistenweise, denn fahrbereit war sie damals nicht.

Nach einjähriger Restaurierung, zahlreichen Werkstattstunden, Gesprächen und Kontakten, mit viel Technikverständnis und Affinität zu Autos baute der damals 20-Jährige aus den Einzelteilen eine Isetta. „Den damaligen Motor habe ich mit Teilen eines MZ-Motors ergänzt“, sagt Lothar Günther. Das funktionierte, die Maschine lief damals wie ein Bienchen.

Gepäck muss auf das Heckteil an der Außenseite, also wetterfest, festgeschnallt werden. Die erste große Fahrt mit seiner damaligen Freundin, die später seine Frau wurde, ging nach Budapest. „Wir fuhren in einem Ritt durch“, erinnert sich Günther. Das ist inzwischen 50 Jahre her.

Nach sieben Jahren und vielen Fahrten kam die Isetta in die Ecke. Kinder kündigten sich an. Der Zweisitzer wurde zu klein.

40 Jahre später holte Lothar Günther seine Isetta wieder hervor, um sie aufzumöbeln – nun ausschließlich mit Originalteilen. Günther war inzwischen Rentner. Er hatte 20 Jahre im Kurt-Schwabe-Institut in Meinsberg gearbeitet. 1993 hatte er mit der Gründung seiner Firma Dr. Günther Schaltanlagen in Hartha ins Unternehmerdasein gewechselt. Inzwischen wird seine Firma weiterhin erfolgreich von seinem Nachfolger geführt.

Er hatte also Zeit, Geduld und eine Menge Ideen für seinen Oldtimer. Das Ergebnis ist beachtlich. Fachleute bestätigten ihm eine hohe Qualität seiner akribischen Restaurierungsarbeiten. Die Gutachter von Classic Data, einem Prüfinstitut für Klassiker, vergaben das Prädikat Sehr gut plus. „Genau genommen bedeutet das, dass meine Isetta noch besser als das Original ist“, erläutert Lothar Günther das Ergebnis mit einem Lächeln.

Vor zwei Jahren erstand der promovierte Techniker erneut eine Isetta, baugleich mit seinem ersten Modell, ebenfalls in den BMW-Farben weiß-blau, nur etwas jünger, Baujahr 1960. Ihn reizte es abermals, einen Oldtimer aufzubauen. Aus Freude am Restaurieren und an der Perfektion. „Erst nachdem ich sie zerlegt hatte, merkte ich, welchen Schrott ich gekauft habe“, so Günther.

Mit gleicher Akribie, aber um einige Erfahrungen und Kontakte für Ersatzteile reicher, restaurierte er Isetta 2 sehr aufwendig und „technisch sogar besser“, wie er sagt. Sie ist gerade fertig geworden und glänzt als „Schwester“ neben der Isetta Nummer 1. Längere Strecken fährt er mit der Isetta aus Sicherheits- und Komfortgründen nicht mehr. Der Oldtimer ist willkommen auf Festen und Feiern wie beim Festumzug zum Döbelner Heimatfest am 19. Juni oder beim Sommerfest der Wohnungsgenossenschaft Fortschritt in Döbeln. Die Knutschkugel strahlt Gemütlichkeit aus und ist ein Hingucker.

Die Leidenschaft für Oldtimer hat Familie Günther neben originellen und abenteuerlichen Fahrten auch interessante Begegnungen und Freundschaften beschert wie die 1968 in Prag. Damals sprach sie ein Medizinstudent aus der damaligen Bundesrepublik, ebenfalls Isetta-Fahrer, an, weil er darüber staunte, dass ein DDR-Student eine Isetta fährt. Die beiden Männer verbindet seit dieser Begegnung eine lange Freundschaft.

Seine Frau toleriert das Hobby ihres Mannes. „Ich weiß ja, wo er ist, wenn er am Auto schraubt“, sagt sie. Wird es eine Isetta 3 geben? „Das weiß ich noch nicht“, lacht Günther. Er weiß aber, wo eine weitere steht und auf einen Restaurator wartet.