Merken

Klimpernde Kaffeebecher

Die Zahl der Bettler in Dresden steigt und damit auch die Beschwerden. Das Ordnungsamt kennt die meisten Reisenden.

Teilen
Folgen
NEU!
© Stefan Becker

Von Stefan Becker

Brennpunkt Bahnhaltestelle. Ob Postplatz oder Wiener Platz, beim Ordnungsamt häufen sich Beschwerden über das sogenannte aggressive und damit verbotene Betteln. Gab es dazu im Jahr 2012 noch 21 Anzeigen, so klettert die Zahl bis 2015 auf 37 gemeldete Belästigungen und liegt für das erste Halbjahr 2016 bereits bei 52. „Die Bettler stellen sich Passanten in den Weg und hindern sie am Weitergehen, wenn sie der Bitte nach einer Geldspende nicht nachkommen. Mit dem Verhalten begehen die Bettler eine Ordnungswidrigkeit“, sagt Tobias Kittlick. Seit 15 Jahren gehört das Thema zum Alltag des Gruppenleiters im Stadtordnungsdienst.

Wenn er zusammen mit seinen Kollegen auf Streife durch die Innenstadt geht, begegnet er dort vielen alten Bekannten, aber auch immer wieder neuen Gesichtern. Wie an diesem Tag um die Mittagszeit: Ein älteres Pärchen an der Straßenbahnhaltestelle vorm Bahnhof weckt das Interesse der Ordnungshüter. Die Frau trägt an dem sonnigen Tag ein Kopftuch, Strickjacke, Rock, Wollsocken und Schlappen; ihr Begleiter eine Jogginghose zum Blouson, in der Hand hält er einen hölzernen Wanderstock und den obligatorischen Kaffeebecher für die klimpernden Münzen.

So wie die Mitarbeiter des Ordnungsamts einen Blick für ihr Klientel besitzen, so bemerken auch die Beobachteten, dass sie offenbar ins Visier der Behörde geraten sind. Die Frau habe noch kurz zuvor den Becher an den Mann übergeben, sagt Josephine Köcher zu ihren beiden Kollegen. Das Paar ignoriert die wartenden Fahrgäste, und die Ordnungshüter überlegen, welche Linie das Paar wohl nimmt. Die 10. Mit dem Ziel Schillerplatz.

Neben der Innenstadt etabliert sich der Knotenpunkt am Blauen Wunder langsam ebenfalls als Hotspot für Münzsammler der bedürftigen Art. Das Trio in Blau lässt die beiden Neulinge im Bettler-Business ziehen und wendet sich wieder der Prager Straße zu. Betteln ist erlaubt, wer sich an die Regeln hält, muss keine Strafen fürchten. Wer den Argwohn der Passanten und Beamten provoziert, riskiert maximal einen Platzverweis. Den befristet das Gesetz zeitlich auf wenige Tage und räumlich auf ein paar Hundert Meter – keine große Sache für die Betroffenen.

Großfamilien beschäftigen Behörde

Und geradezu harmlos, wenn sie aus benachbarten Ländern kommen. Die meisten Bettler stammen momentan aus Rumänien und der Slowakei, sagt Kittlick. Drei Großfamilien mit rund 80 Personen beschäftigen derzeit die Behörden. Die arbeitsteilig organisierten Clans musizieren entweder mit der ihnen eigenen Inbrunst (die SZ berichtete) oder sitzen verteilt in der Innenstadt mit abgetragener Kleidung und Leidensmiene.

So weit, so gut. Wären da nicht kleine Kinder im Spiel oder Hündchen, kaschierte Gliedmaßen oder Krücken und Rollstühle. Zwar gilt die Mitleidsmasche im Geschäftsmodell als legitimes Mittel, schrammt aber an der Legalität vorbei. Also schauen Kittlick und seine Kollegen ganz genau hin, welcher der bekannten Kandidaten gerade was simuliert. So sei ein Rollstuhl zum Beispiel sehr beliebt und würde über den Tag fast schon im Schichtsystem von verschiedenen Bettlern benutzt.

An diesem sonnigen Mittag fällt nur ein Junge auf, bekleidet mit klobigen Stiefeln und einer dicken Strickmütze hockt er neben einem Geldinstitut auf dem Boden. Wo mögen die Eltern des Jungen sein? Die Beamten fragen den Jungen nach Eltern und Ausweis. Als Standard-Antwort erhalten sie den Begriff „Slowakia“ und das fast druckfrische Dokument im Scheckkartenformat. Der Ausweis attestiert dem Jungen ein Alter von 17 Jahren. Damit hat sich auch die Suche nach den Eltern erledigt.

Wobei die von Amts wegen praktizierte Familienzusammenführung in dem Augenblick ad absurdum geführt wird, wenn die Behörde nach getaner Arbeit weiterzieht. Dann organisieren sich auch die Bettler neu, und am nächsten Morgen grüßt wieder das beliebte Murmeltier. Bettler und Musikanten beschäftigen sowohl den Stadtordnungsdienst wie auch die mit Schutzwesten und Koppel ausgerüstete Besondere Einsatztruppe, im Wesentlichen besteht die Arbeit im Zeigen von Präsenz. Und wäre die von den Kaufleuten einst initiierte Citystreife eine Hilfe?

Kittlick blickt skeptisch, denn rein formal müssen sich die privaten Aufpasser auf die bescheidenen Meterzonen vor den Geschäften und Restaurants beschränken, die Straße zählt zum Hoheitsgebiet der städtischen Mitarbeiter und der Polizei. Momentan sei die Lage recht ruhig, aus krimineller Sicht, nicht jedoch aus akustischer – denn die nichtbettelnden Mitglieder der Großfamilie singen nach Leibeskräften und verdienen damit tatsächlich Geld – steuerfrei.

Das mag hart klingen, sagt Kittlick, doch solange bei den Bettlern und Musikanten die Münzen in den Kaffeebechern klimpern, werden die Reisenden das offenbar lukrative Geschäft nicht aufgeben.