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Kleinwachau wagt gewagte Werbung

Mit einer mutigen Kampagne startet ein ganz besonderes Unternehmen des Epilepsiezentrums neu durch.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Martin Wallmann schaut ganz genau hin. Der Chef des Epilepsiezentrums Kleinwachau im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad ist ein bisschen nervös. Wie wird die Runde aus Journalisten reagieren? Die Journalisten sind die Ersten die eine durchaus gewagte Werbe-Kampagne öffentlich präsentiert bekommen, mit der das Epilepsiezentrum ab sofort für ein ganz besonderes Unternehmen werben wird, das eigentlich ein ganz normales Unternehmen sein sollte. Ein sogenanntes Inklusions-Unternehmen nämlich. Eine Firma, in der Menschen mit und ohne Behinderung beschäftigt werden. „Doch mit dem Thema Inklusion tun sich viele noch schwer“, weiß Alexander Nuck. Er ist im Epilepsiezentrum fürs Thema Öffentlichkeitsarbeit zuständig – und ist maßgeblich an dieser neuen Werbekampagne beteiligt, die er nun gleich vorstellen wird.

Mit solchen Plakaten wirbt „Paso doble“ ab sofort für sich.
Mit solchen Plakaten wirbt „Paso doble“ ab sofort für sich. © PR

Inklusion ist eben mehr, als Kinder im Rollstuhl in einer „normalen“ Schule. „Das ist eines der typischen Bilder, die wir im Kopf haben, wenn es ums Thema Inklusion geht – wie die vielen Fotos von Menschen mit Down-Syndrom, die sozusagen als Synonym für Behinderte herhalten müssen“, ärgert sich Alexander Nuck ein wenig. Denn es gibt auch eine Menge Menschen mit Handicaps, denen man ihre Einschränkung nicht ansieht. Und die trotzdem keine echte Chance zum Beispiel auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen, obwohl sie bei richtigem Einsatz dort sehr gut aufgehoben wären. Deutschlandweit, nennt Martin Wallmann dann eine Zahl, waren im vergangenen Jahr 181 000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos und rund 300 000 arbeiten in Behinderten-Werkstätten. Von denen schaffen gerademal 0,16 Prozent den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

„Unglaublich, welches Potenzial Deutschland da liegen lässt“, sagt Martin Wallmann kopfschüttelnd. Denn er weiß natürlich ganz genau, was Behinderte in der Lage sind, zu schaffen. „Ganz abgesehen davon, dass sie laut UN-Vorgaben ganz einfach auch das Recht auf freien Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt haben“, schiebt der Chef des Epilepsiezentrums hinterher. Und weil es trotz des Rechtsanspruchs eben mehr als schwierig ist, zum Beispiel die gut ausgebildeten Beschäftigten aus den Behinderten-Werkstätten Kleinwachaus in „richtigen“ Betrieben unterzubringen, geht das Epilepsiezentrum seit 2010 einen eigenen Weg. „Wir versuchen natürlich unsere Mitarbeiter auf Arbeitsplätzen außerhalb des Epilepsiezentrums zu platzieren, was uns bei zwei bis drei Mitarbeitern pro Jahr auch tatsächlich gelingt“, freut sich Martin Wallmann.

Aber das Potenzial sei einfach viel größer. „Also hatten wir ja 2010 unsere damals noch Integrations-Firma paso doble gegründet“, denkt der Epilepsiezentrums-Chef zurück. Der Name geht auf einen Teil des ursprünglichen Angebots der Firma zurück. Behinderte und nichtbehinderte Mitarbeiter hatten in der Außenstelle der Kleinwachauer Behindertenwerkstatt an der Stolpener Straße in Radeberg sowohl ein Café samt Betriebskantine übernommen, als auch Tanzveranstaltungen organisiert. Mit fünf Mitarbeitern war das Unternehmen damals gestartet. Und die Idee hat funktioniert. Heute hat die Firma fast 50 Mitarbeiter, „aber hat mit ihrem Ursprung nicht mehr viel zu tun“, stellt Martin Wallmann klar. Das Angebot an Tanzveranstaltungen war nicht angenommen worden, auch das Café hatte es schwer. „Der Standort Stolpener Straße ist einfach schlecht für so etwas gelegen, schon die Supermärkte haben das ja gemerkt, die vor uns dort ihr Domizil hatten“, räumt er ein.

Dienstleistungsunternehmen entstanden

Das Unternehmen „paso doble“ hat längst nichts mehr mit Tanzen und schon gar nichts mehr mit dem Standort Stolpener Straße zu tun. Und eigentlich ist mit den Jahren daraus auch ein komplett anderes Unternehmen geworden. Eines, das jetzt zudem eine Besonderheit in ganz Mitteldeutschland darstellt: Denn neben dem Epilepsiezentrum Kleinwachau sitzen nun auch die Diakonie-Stadtmission Dresden und die Dresdner Volkssolidarität mit im Geschäfts-Boot. Denn auch bei diesen neuen Partnern spielen die Themen Inklusion und Arbeitsmarkt natürlich längst eine wichtige Rolle.

Geworden ist aus dem vorsichtig kleinen „paso doble“ mit den Jahren nun ein modernes Dienstleistungs-Unternehmen. Hausmeisterservice, Gebäudereinigung, Renovierungsarbeiten, Umzugs- und Transportservice, Haushalts- und Hauswirtschaftshilfe – das ist die Angebotspalette. „Und das alles nicht zu Dumping-Löhnen“, ist Martin Wallmann wichtig. Gezahlt wird nicht nur der staatlich vorgegebene Mindestlohn, „sondern wir zahlen nach branchenüblichem Tarif, sind also keine Billig-Konkurrenz für andere, in diesen Bereichen aktive Firmen“, unterstreicht der Epilepsiezentrums-Chef. „Wir stellen uns also ganz klar dem Markt“, sagt er. Allerdings schon mit dem Blickwinkel, „dass wir natürlich auch Kunden ansprechen wollen, denen unser sozialer Aspekt wichtig ist“. Die Rede ist also davon, dass bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter Menschen mit Handicap sind.

Lebensgeschichten werden erzählt

Und darauf spielt auch unterschwellig die eingangs erwähnte Werbe-Kampagne an, die Alexander Nuck nun präsentiert. Denn einer der Slogans, mit denen zum Beispiel für den Bereich Hausmeisterservice geworben wird lautet: Schraube locker? Und dazu ist auch noch ein junger Mann namens Torsten zu sehen. „Aber er wird nicht vorgeführt, man sieht ihm sein Handicap auch nicht an“, hält Alexander Nuck möglichen Kritikern gleich vorab entgegen. Im Gegenteil, sagt er. Die Werbe-Kampagne erzählt die Lebensgeschichten der abgebildeten Menschen – mit einer charmanten Brise Frechheit aber vor allem authentisch. Denn es gibt nicht nur Plakate, sondern auch kleine Broschüren – und eine Internetseite, auf der diese Geschichten erzählt werden.

Wie die von Annett zum Beispiel. Die Überschrift für die junge Frau lautet „Nicht ganz glatt?“ – und man sieht sie mit einem Bügeleisen. Denn die 26-Jährige arbeitet im Hauswirtschaftsbereich der Firma. Die Radebergerin leidet an Lernschwierigkeiten, und darunter musste sie tatsächlich viele Jahre leiden. Auch davon wird erzählt. Sie war oft nicht ernstgenommen worden, wurde gehänselt. Aber jetzt kann sie sich im „paso doble“ beweisen, „meine Kollegen behandeln mich mit Respekt“, schwärmt sie. Und ihre Augen leuchten – „nicht nur, weil es sich um Werbefotos handelt“, stellt Alexander Nuck klar. „Diese Menschen sind es wirklich wert, dass man ihre Geschichte erzählt, um zu zeigen, was sie leisten können“, sagt er. Und deshalb wagte er auch die gewagte Werbe-Kampagne. Wohl wissend, „dass man mit Werbung natürlich auffallen muss – das wird uns mit diesen Plakaten gelingen“, ist er überzeugt.

Martin Wallmann ist jedenfalls zufrieden. Die Journalisten-Runde zeigte sich angetan von der Kampagne. Premiere gelungen, sozusagen. Wobei Alexander Nuck dann verrät, dass es zumindest schon mal eine Art Generalprobe gegeben hatte. Denn das Epilepsiezentrum hat sich mit diesem im Fach-Deutsch „Marken-Relaunch“ genannten neuen Werbe-Auftritt um den diesjährigen Dresdner Marketingpreis beworben. „Und wir sind damit in die Finalrunde gekommen“, ist Alexander Nuck durchaus ein Stück weit stolz. Am 1. Dezember wird sich entscheiden, ob es fürs Treppchen ganz oben gereicht hat.

Der neue Auftritt des Inklusionsunternehmens „paso doble“ im Internet unter: www.pasodoble.de