Die Fugen bröseln, die provisorische Mauer wackelt. Löcher klaffen im Dach des alten Bahnhofs, geben den Blick frei in den Himmel über der Leipziger Vorstadt. Das Gebäude rund um die einstige Drehscheibe macht ebenfalls einen maroden Eindruck, doch Steffan Itzerott sieht das gelassen. Der Architekt im Dienste von Globus holt gerade die Angebote ein bei den Handwerkern, die demnächst die Notsicherung der beiden denkmalgeschützten Bauwerke vornehmen werden.
Mieter am Alten Leipziger Bahnhof
Baustellen am Alten Leipziger Bahnhof
Die entsprechenden Anträge lägen der Denkmalschutzbehörde vor, nach einer gemeinsamen Begehung der Immobilie seien die Arbeiten genehmigt worden. Der an die Grüne Villa grenzende Teil des Bahnhofs besitzt bereits eine Notsicherung. Im Mai sollen das markante Haus mit dem Türmchen und sein unscheinbarer Nachbar unter einem Holzgerüst verschwinden.
Gegenüber von dem historischen Ensemble logiert auf dem 100 000-Quadratmeter großen Gelände der Freiraum Elbtal. Globus gewährte den Bewohnern der Wagenburg temporäres Exil, nachdem der Verein seinen alten Standort am Elberadweg auf dem Gelände von Investorin Regine Töberich räumen musste. Das seit zwei Jahren währende wohnrechtliche Provisorium soll im April eine reguläre Nutzungsvereinbarung erhalten, sagt Itzerott: „Rechtssicherheit ist für alle Parteien wichtig“.
Dasselbe gilt für die Künstlergilde Hansa 3. Die Ateliers brauchen neue Heizungen, damit die Kreativen auch mal im Winter arbeiten können, sowie neue Leitungen für Strom und Wasser. Globus investiere langfristig in die Sanierung des ebenfalls denkmalgeschützten Hauses, sagt Geschäftsleiter Heiko Weigert, doch solle die Miete diese Ausgaben über fünf Jahre wieder refinanzieren.
Schließlich sind die Künstler längst nicht die einzigen Mieter auf dem Areal. Mit dem Kauf des Alten Leipziger Bahnhofs von der Bahn erbte das Einzelhandels-Unternehmen mehrere gewerbliche Mieter, wie zum Beispiel die „Heinzelmännchen“. „Wir fühlen uns an dem Standort ziemlich wohl“, sagt Geschäftsführer Stefan Freund. „Durch die zentrale Lage können uns die Kunden gut erreichen und unsere zur Leipziger Straße geparkten Lastwagen fungieren zugleich als Werbebanner.“
Bloß, wie lange bleibt der Standort erhalten, fragt sich der Umzugs-Unternehmer – und was kommt dann? Dieser Gedanke beschäftigt auch Annett Vogler von schräg gegenüber. Die Chefin der Filiale des Malerfachmarkts Winkler & Gräbner weiß, dass ihr vor zehn Jahren mit eigenen Mitteln renovierter Schuppen-Trakt verschwindet, sollte Globus irgendwann die Baugenehmigung für das geplante SB-Warenhaus erhalten.
Dasselbe Schicksal würde auch Andreas Kühn teilen, dessen Sachsenwerbung am Ende des Lagerkomplexes sämtliche touristische Broschüren, Prospekte und Flyer des Freistaates beherbergt. Von der Neustadt in die Welt, das sei sein Motto, sagt Kühne, in dessen Schuppen sich Sachsens Sonnenseiten in etlichen Sprachen stapeln. Doch so ideal die Lage auch sei für den schnellen Versand und spontane Lieferungen, so ungewiss sei sie eben auch mit Blick auf die Zukunft des Areals.
Tatsächlich erweist sich die Ungewissheit seit Jahren als einzige Konstante im Ringen um die Nutzung des Geländes. Globus möchte dort sein SB-Warenhaus bauen, doch die amtierende Stadtratsmehrheit lehnt diesen Plan ab und favorisiert eine wie auch immer geartete Quartiers-Entwicklung und spricht in dem Zusammenhang immer vom präferierten kleinteiligen Einzelhandel.
Weil ein typischer Globus-Markt eher das Gegenteil repräsentiert, soll die Verwaltung nun unter Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und mit Beteiligung von Globus nach einem alternativen Standort für das Projekt des Unternehmens suchen. Der Antrag dafür ist formuliert, wird demnächst in Ortschaftsräten und anderen kommunalen Gremien diskutiert. Schließlich muss der Plan final vom Stadtrat beschlossen werden und landet dann als konkreter Arbeitsauftrag in der Verwaltung.
Aus der Perspektive von Globus besitzt der Antrag der Verwaltung allerdings schon jetzt erhebliche Schwächen: „In dem Antrag steht zwar, dass das alternative Grundstück eine Größe von mindestens 40 000 Quadratmetern besitzen soll, doch fehlen weitere Standortbedingungen, die wir vorab bei einem Treffen mit den Verantwortlichen des Bauausschusses formuliert hatten“, sagt Heiko Weigert. Dabei handle es sich um Ausfallstraßen, die das Grundstück tangieren, ein entsprechend großes Einzugsgebiet und zügiges Baurecht auf Basis des bestehenden Konzepts.
„Wir sind gespannt, was die Suche bringt, vielleicht haben wir ja in der Vergangenheit tatsächlich ein vergleichbares Grundstück übersehen und wir sind völlig entspannt, was den Ausgang betrifft“, sagt Weigert. Bis Ende des Jahres soll laut Antrag für den Auftrag die Suche nach dem alternativen Standort abgeschlossen sein.
Liege bis dahin kein vernünftiges Ergebnis vor, werde Globus weiter in Ruhe warten, damit die Diskussion um den Standort in der Leipziger Vorstadt nicht abermals im städtischen Wahlkampf instrumentalisiert werde wie 2014. Damals hatte sich besonders die „Allianz für Dresden“, eine Vereinigung aus Bürgerinitiativen und Kultur- sowie Unternehmervereinen, gegen die Globus-Ansiedlung stark gemacht.