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Kleine Vampire mit großem Durst

Tankwartin Claudia Gerschel zapft seit einigen Wochen auch Menschenblut – mit funkelnden tierischen Helfern.

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© Norbert Millauer

Von Ines Mallek-Klein

Der Raumbefeuchter zischelt leise. Er steht auf der Fensterbank und gibt gleichmäßig den betörenden Duft von Magnolienblüten ab. Claudia Gerschel sitzt zurückgelehnt in einem alten Schaukelstuhl aus Holz und hält eine Tasse mit kaltem Tee in ihrer Hand. Die Minzblätter wachsen in einem Topf vor dem Haus.

Sie lächelt zufrieden. Sie ist angekommen, angekommen in ihrer neuen Heilpraktikerpraxis. Die hat die 37-jährige Zweifachmama vor wenigen Tagen erst eröffnet, im schönen Bielatal. Hier lebt die gebürtige Dresdnerin auch mit ihrer Familie auf einem Hof mit vielen Tieren. Um die konnte sich Claudia Gerschel in den letzten vier Jahren weniger kümmern. „Mein Mann und meine Kinder haben mir da viel abgenommen, dafür bin ich dankbar“, sagt die Frau mit den strahlenden Augen. Sie hatte neben ihrer Arbeit in der Aral-Tankstelle auf dem Pirnaer Sonnenstein ein Fernstudium begonnen. Claudia Gerschel hat sich zur Heilpraktikerin ausbilden lassen. Interesse hatte ich immer schon dafür, aber das richtig zu studieren, ist noch einmal etwas gänzlich anderes, erzählt sie und zeigt zum Beweis auf ein Regal voller grüner Ordner. Hier sind die einzelnen Lektionen fein säuberlich abgeheftet, die sie vierteljährlich durcharbeiten musste. Die Fragebögen kamen von der ALH Akademie in Haan. Die Rechnungen für die Kurse auch.

Claudia Gerschel hat nie zusammengerechnet, wie viel Geld sie in ihren Traum investiert. „Aber einen hübschen Kleinwagen hätte ich mir ganz sicher dafür kaufen können“, sagt sie und blickt auf den Schreibtisch. Braun, schwer und aus Eiche. Der stand Jahrzehnte in der Praxis eines Meißner Landarztes. Nun steht er hier im Obergeschoss vom Friseursalon Ines. Während unten Locken gelegt, Haarspitzen gestutzt und Strähnchen gefärbt werden, zückt Claudia Gerschel oben die Akupunkturnadel. Sie kennt sich aber auch mit der Eigenbluttherapie, der Komplexhomöopathie und Gesprächstherapie aus.

Das Besondere ist aber die Arbeit mit Blutegeln. Claudia Gerschel steht auf und geht zu einer gläsernen Kugel – dem Egel-auge. Dort liegen, satt, zufrieden und zusammengerollt, mehrere Blutegel auf Halbedelsteinen. Die scharfen Kanten in ihrem Zuhause sind nötig, um regelmäßig die Schleimhaut abstreifen zu können. „Das sind die Egel von mir und meinem Mann“, sagt die Heilpraktikerin. Sie schwört auf die Therapie, die vor 150 Jahren in Deutschland sehr populär war, dann aber wieder in Vergessenheit geriet und sich nun einer Renaissance erfreut.

Derzeit gibt es in Deutschland zwei Farmen für medizinische Blutegel. Eine sitzt in Biebertal bei Gießen. Dorthin schickt Claudia Gerschel regelmäßig ihre Bestellungen. Die Egelkinder warten in einem blauen Tontopf auf ihren Einsatz beim Patienten. Sie helfen bei der Entgiftung und auch bei der Schmerztherapie. Denn Blutegel saugen nicht einfach nur Blut, sie geben dabei wertvolle Stoffe ab. Einmal satt getrunken, reicht ihr Blutvorrat für zwei Lebensjahre. Doch so alt werden die Egel bei Claudia Gerschel nie. „Ich muss sie nach einmaliger Anwendung töten“, sagt sie . Die Egel landen im Spiritusbad und anschließend im Biohausmüll. So fordert es der Gesetzgeber.

Das Telefon klingelt. Ein Patient bittet um einen Termin. Noch ist es recht ruhig in der Praxis, sagt Claudia Gerschel. Aber es ist ja auch Urlaubszeit. Sie fährt noch regelmäßig zur Tankstelle in Pirna, arbeitet weiter im Dreischichtsystem. Doch die Stundenzahl will sie verringern, um mehr Zeit für die Patienten zu haben.

Denn die ist für die Genesung mindestens genauso wichtig wie die richtige Behandlungsmethode.