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Kleiden, nicht uniformieren

Ob großes Modehaus oder kleineres Bekleidungsgeschäft: Herausforderung ist es, den Geschmack der Kunden in Görlitz zu treffen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ines Eifler

Die gemusterte Herrenweste aus dunkler Wolle oder das knielange dunkelblaue Chiffonkleid im Schaufenster von „Goldmann“ auf der unteren Berliner Straße findet man in keinem anderen Görlitzer Bekleidungsgeschäft. Ebenso den taillierten schwarzen Damenmantel, der im Fenster des Modehauses „Schwinds Erben“ auf der Steinstraße die Blicke auf sich zieht, die Herrenlederjacke oder die Bluse in Pink.

Georg Schwind bietet in seinem Modehaus ebenfalls nur wenige Teile eines Kleidungsstücks an.
Georg Schwind bietet in seinem Modehaus ebenfalls nur wenige Teile eines Kleidungsstücks an. © nikolaischmidt.de

Angelika Dedeleit, Inhaberin von Goldmann, und Georg Schwind, Inhaber von Schwinds Erben, gehören zu den Görlitzer Händlern, die das Gegenteil von Massenware verkaufen. Die Konkurrenz durch Anbieter von billig in Fernost und in Mengen hergestellter Ware ist groß, doch die beiden verzagen nicht. „Es ist mir wichtig, dass ich von jedem Kleidungsstück nur drei oder vier Stück da habe“, sagt Georg Schwind. „Höchstens ein Teil pro Größe. Ich möchte nicht uniformieren!“ Angelika Dedeleit bestätigt das für ihr Geschäft. „Wer will schon auf einer Party einer Dame im gleichen Kleid begegnen!“

Um genügend Verschiedenes im Laufe des Jahres anbieten zu können, fahren beide zu mehreren Messen, jeweils Anfang und Mitte des Jahres. Angelika Dedeleit fährt nach Berlin, Düsseldorf und Leipzig, Georg Schwind außerdem nach Hamburg. Dort zeigen die Hersteller ihre neuen Kollektionen. Nicht komplett, sondern einzelne geschneiderte Modelle, dazu verschiedene Stoffproben. „Ich suche mir aus den schönsten Kollektionen die schönsten Teile aus, die meinen Kunden gefallen könnten, und bestelle sie“, sagt Georg Schwind.

Auch Angelika Dedeleit geht in Gedanken die Wünsche ihrer Kundschaft durch. Einen Teil ihres Sortiments bestellt sie bei Firmenvertretern. Was die Händler ordern, wird in den Folgemonaten genäht und dann zu verschiedenen Terminen in der übernächsten Saison geliefert.

Als Händler Mode einzukaufen ist heute anders als früher. Georg Schwind lässt seinen Blick über die weichen Pullover, die ordentlich aufgestapelten Hosen und die glänzenden Daunenjacken schweifen. Seit vielen Jahren bietet er auch im Obergeschoss Mode an. Als sein Großvater und dann dessen Erben das Geschäft führten, war die Verkaufsfläche kleiner. „Vor 1990 war oben alles Lager“, erzählt er. Wenn es in der DDR hieß: Nächste Woche kommen blaue Röcke, dann musste sein Vater Platz für 300 Röcke vorhalten. Heute landet die neue Lieferung nahezu direkt im Geschäft und was verkauft ist, gibt es nicht nach.

Als Angelika Dedeleit 1990 ihr erstes Geschäft in Niesky gründete, bestellte sie noch nicht auf Messen, sondern kaufte monatlich in Modecentern in Süddeutschland ein und lud das alles in ihren PKW. „Aber das Risiko großer, gelagerter Mengen gehen heute auch Hersteller nicht mehr ein.“ Mit dem 70 Jahre alten Görlitzer Traditionsgeschäft Goldmann, das sie 2010 von Dieter Goldmann übernahm, zog sie 2014 auf die untere Berliner Straße um. In ihrem neuen Geschäft verzichtete sie zugunsten von mehr Verkaufsfläche auf ein Lager.

Das erfordert einen achtsamen Umgang mit Mengen. Denn am Ende jeder Saison muss wieder Platz sein für neue Ware. Dann muss alles verkauft sein, was die Händler viele Monate zuvor geordert haben. „Man muss seine Kunden kennen“, sagt Georg Schwind, „und nur so viel einkaufen, wie man auch verkaufen kann.“

Den Geschmack der Kunden zu treffen, ist für jeden Händler die größte Herausforderung, ob kleines Geschäft oder größeres Modehaus. „Ich will ihnen etwas bieten, das sie anspricht, möchte sie auf dem Weg zu Trends mitnehmen, aber auch neue Kunden anziehen“, sagt Georg Schwind. In den vergangenen Jahrzehnten ist ihm dieser Spagat gelungen. Er hat es geschafft, sein Modehaus und dessen Publikum allmählich zu verjüngen. „Aber so etwas geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein Prozess über Jahre. Man muss dranbleiben.“ Er hat viele Stammkunden, manche kommen regelmäßig aus Berlin, Potsdam oder Cottbus und kaufen bei ihm ein. An 2 000 Adressen schickt er sein Kundenmagazin, das nur Kleidungsstücke abbildet, die es bei Schwinds Erben zu kaufen gibt. Weit zu werben und zugleich exklusiv zu sein, ist nicht immer einfach. „Wegen unserer geringen Stückzahlen ist manchmal etwas, das wir im Heft bewerben, zu Beginn der Saison schon ausverkauft.“

Angelika Dedeleit sagt, ihre Kunden entschieden sich oft wegen der Passformen für bestimmte Hersteller, die sie anbietet. Die Konkurrenz der überregionalen Ketten auf der Berliner Straße sei groß, weil sie durch hohe Bestellzahlen oft günstige Preise anbieten können, mit denen kleinere Geschäfte nicht mithalten können. „Dafür bieten wir einen guten Service wie die Änderungschneiderei.“

Einem relativ neuen Bedürfnis der Kunden können beide Händler entsprechen: dem wachsenden Interesse für die Herstellungsbedingungen von Garderobe. „Immer mehr Leute entscheiden sich bewusst für in Europa hergestellte Kleidung“, sagt Angelika Dedeleit. „Sie möchten Kinderarbeit und weltweite Transporte nicht unterstützen.“ Georg Schwind schränkt noch mehr ein: „Ich bevorzuge Hersteller, die in Deutschland produzieren.“ Mit vielen Firmen arbeite er seit Jahrzehnten zusammen. „Ich verlasse mich darauf, dass sie nachhaltig denken, und gebe das an unsere Kunden weiter.“