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Kindeswohl scheint häufiger gefährdet

Die Zahl der Meldungen hat sich in Mittelsachsen fast verdoppelt. Dafür gibt es zwei Ursachen.

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© Symbolfoto: dpa

Von Tina Soltysiak

Döbeln. Sachsens Jugendämter haben im Jahr 2016 in 5 555 Fällen mögliche Gefährdungen des Kindeswohls geprüft. 126 davon in Mittelsachsen. Im Verhältnis klingt dies nicht viel. Doch aus den Zahlen, die das Statistische Landesamt Kamenz kürzlich veröffentlicht hat, geht hervor, dass sich die Gesamtzahl für den Landkreis im Vergleich zu 2015 nahezu verdoppelt hat: von 65 auf 126. Und die Zahl steigt weiter. „Nach aktuellem Stand werden voraussichtlich 220 Fälle für das Jahr 2017 gemeldet“, erklärte Kreissprecherin Cornelia Kluge auf Nachfrage des Döbelner Anzeigers. Wie viele Hinweise auf Kindeswohlgefährdung den Altkreis Döbeln betreffen, könne nicht gesagt werden. Eine Auswertung erfolge nur bis auf Kreisebene.

Die Ausprägungen von Kindeswohlgefährdung sind vielfältig: Sie reichen von Anzeichen von Vernachlässigung über Hinweise auf körperliche oder psychische Misshandlung bis hin zu sexueller Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen.

Mitmenschen schauen genauer hin

Dass die Zahl der Meldungen steigt, sei weder verwunderlich, noch im großen Maße bedenklich. Denn erst seit dem 1. Juli 2015 erfolgt im Landkreis eine umfangreiche Erfassung aller Fälle über ein spezielles Fachverfahren. „Die Statistikkriterien wurden von uns anfangs entsprechend der Erläuterung eng ausgelegt. Das heißt, alle Kriterien mussten erfüllt sein“, so Cornelia Kluge. Dabei galt zunächst folgendes Prinzip: „Eine Gefährdungseinschätzung ist dann zur Statistik zu melden, wenn dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden, es sich daraufhin einen unmittelbaren Eindruck von dem Minderjährigen und seiner persönlichen Umgebung verschafft und die Einschätzung des Gefährdungsrisikos anschließend im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgt.“ Unter Letztgenanntem sei das Vier-Augen-Prinzip zu verstehen.

Infolge einer Konkretisierung werden seit 2016 nun alle Meldungen abgebildet. „Das heißt im Umkehrschluss, dass es sich nicht bei allen Fällen um eine tatsächliche Kindeswohlgefährdung handeln muss“, so Cornelia Kluge. Die erneute Steigerung 2017 zeige deshalb auch „die weiter sehr hohe Aufmerksamkeit in der Gesellschaft mit hoher Meldequote an das Jugendamt“. Die Behörde gehe jedem Hinweis nach.

Von den 126 gemeldeten Fällen 2016 stellten sich aber immerhin 17 als „akute Kindeswohlgefährdung“ heraus, elf noch als „latente“. Bei 87 Meldungen sei kein Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung auszumachen gewesen. Es hatte sich aber Hilfe- beziehungsweise Unterstützungsbedarf für die Familien ergeben. In den übrigen elf Fällen seien die Hinweise unbegründet gewesen und es bestand auch kein weiterer Unterstützungsbedarf.

Der Landkreis geht offensiv mit dem Thema Kinderschutz um. So wurde beispielsweise im vergangenen Jahr die Informationsbroschüre zu diesem Thema aktualisiert. Zudem wurde Fachpersonal unter anderem der Kitas, Horte, Schulen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch Ergotherapeuten speziell zum Thema Kindeswohlgefährdung geschult. Etwa 70 Teilnehmer folgten der Einladung zu zwei Großveranstaltungen. Darüber hinaus gab es drei einrichtungsinterne Fortbildungen. „Hierbei wurden Erzieher, Einrichtungsleiter mehrerer Kitas eines Trägers, Inklusionsassistenten an Schulen sowie Tagespflegepersonen geschult“, so Cornelia Kluge. Zudem gab es für 244 angemeldete Fachkräfte verschiedene Veranstaltungen durch das Netzwerk Frühe Hilfen und präventiver Kinderschutz.

Gewalt, Überforderung, Alkohol

Sind Eltern kurz- oder längerfristig nicht in der Lage, die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu gewährleisten, finden sie unter anderem Hilfe beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Landkreises. „Hier ist eine stetige Verdichtung der Problemfülle und Fallzahlbelastung zu verzeichnen“, so Cornelia Kluge. In den zu betreuenden Familien seien eine Vielzahl an Risikofaktoren auszumachen: psychische Probleme, familiäre Konflikte, häusliche Gewalt, Überforderung, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie gesellschaftliche Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung. Können die Eltern nicht angemessen für ihre Kinder sorgen, springt das Jugendamt ein und sucht alternative Betreuungsmöglichkeiten für die betroffenen Jungen und Mädchen. Stand 1. November 2017 leben 94 Kinder und Jugendliche in einem Heim.

Referat Allgemeiner Sozialer Dienst: Am Landratsamt 3, Haus A in Mittweida; Tel.: 03731 799 6451, E-Mail: [email protected]