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Kindersegen im Kreißsaal

Die Geburtenzahlen sind seit Jahresbeginn auch im Landkreis gestiegen. Kommt jetzt ein neuer Babyboom?

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© Regina Berger

Von Jana Ulbrich

Ben schreit erst einmal aus Leibeskräften. Der kleine Mann ist seit ein paar Minuten auf der Welt. Alles dran, alles gesund. Hebamme Romy Walter legt das Neugeborene in die Arme seiner Mama. Und sofort wird es ruhig. Ein wunderbarer Augenblick. Romy Walter lächelt. Bens Eltern, Sandra Hiemer und Mario Nicklisch, sind überglücklich über ihr erstes Kind – ein absolutes Wunschkind.

Der kleine Ben ist Baby Nummer 259 in diesem Jahr im Kreißsaal der Oberlausitzkliniken in Bischofswerda. Mit ihm hat die Klinik jetzt schon 27 Geburten mehr als im vorigen Jahr um diese Zeit. Die nächsten Entbindungen stehen schon an. Und für den Geburtsvorbereitungskurs in dieser Woche haben sich so viele werdende Eltern angemeldet wie lange nicht mehr.

25 Kilometer entfernt, im Malteser Krankenhaus in Kamenz, wird an diesem Morgen schon die 329. Entbindung gezählt. Auch das sind im Vergleich zum Vorjahr reichlich zehn Prozent mehr. Und einen sogar noch etwas höheren Anstieg der Geburtenzahlen registriert das Hoyerswerdaer Seenland Klinikum.

Kommt der neue Babyboom jetzt also auch im Kreis Bautzen an? Dr. Ullrich Dziambor, der Chefarzt der Bischofswerdaer Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, bezweifelt das. Und auch sein Kollege in Kamenz, Chefarzt Dr. Rainer Kluge, hält die Entwicklung eher für einen Zufall. Die beiden Mediziner befürchten für die nächsten Jahre sogar das Gegenteil: Jetzt werden die Frauen, die in den Jahren nach 1990 geboren wurden, zur Elterngeneration. Der starke Geburtenknick nach der Wende wird sich auf die nächste Generation auswirken. Da sind sich die Statistiker sicher.

Atempause im Bischofswerdaer Kreißsaal. Der kleine Ben schlummert friedlich. Hebamme Romy Walter hat Zeit für das junge Ehepaar, das sich vor der Entbindung die Station ansehen möchte. In sechs Wochen erwarten Maritta und Andreas Zappe ihr drittes Kind. Es wird wieder ein Mädchen. Das wissen sie schon. Und selbstverständlich ist es ein Wunschkind. Die beiden schmunzeln. An ihnen liegt es also nicht, dass die Sachsen immer weniger werden. Statistisch gesehen hat der Kreis Bautzen eine Geburtenrate von 57 Kindern je 1 000 Frauen im gebärfähigen Alter. Das ist nach der Stadt Dresden und dem Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge immerhin die dritthöchste in ganz Sachsen.

Romy Walter führt die werdenden Eltern durch alle Räume, erklärt und zeigt ihnen die vielen Möglichkeiten, die sich den Gebärenden hier bieten. Die Kliniken müssen sich heutzutage viel einfallen lassen im Wettbewerb um die Entbindungen.

An deren Zahl werden die Einrichtungen gemessen. Gerade ist der Kreißsaal in Sebnitz geschlossen worden. Geht es nach den Gesundheitspolitikern, würde am liebsten noch weiter zentralisiert. Gerade über den kleineren Einrichtungen wie der in Bischofswerda schwebt ständig das Damoklesschwert. Dabei ist es hier so familiär und schön: Maritta und Andreas Zappe sind ganz angetan. Besonders vom großen, orangefarbenen Rundbett, das eher ein Designer-Sofa als ein Bett ist und in dem man in allen möglichen Positionen entbinden kann. Die 34-jährige Krankenschwester und ihr 39-jähriger Mann, der selbstständig ist, freuen sich sehr auf das Baby. Einen Krippenplatz haben sie sich schon gesichert. Gut, dass das hier in der Region noch relativ einfach ist, sagen sie. „Wer Arbeit hat, muss sich das mit dem Kinderkriegen heutzutage schon gut überlegen“, sagt Andreas Zappe. „Aber am Ende sind Kinder doch das Wichtigste.“ Das Überlegen ist wohl ein Grund dafür, dass Mütter heute älter sind. Der Trend, weiß der Bischofswerdaer Chefarzt, geht eindeutig hin zum späteren Mutterglück, auch zum Einzelkind.

Der kleine Ben und seine Mama haben es sich inzwischen eine Etage höher auf der Wochenstation gemütlich gemacht. Sandra Hiemer ist jetzt 27. Im Geburtsvorbereitungskurs war sie die Jüngste, erzählt sie. Alle anderen waren zwischen 36 und 40. Kathleen Hennig im Wochenzimmer nebenan hat mit 44 ihr erstes Kind geboren. Endlich! Es waren die unsicheren Zeiten nach der Wende und die Umstände. Und dann hat es lange nicht sein sollen, erzählt sie mit der kleinen Frieda im Arm. Hebamme Romy ist gekommen, um ihr auf Wiedersehen zu sagen. Gleich wird ihr Mann sie und das Baby nach Hause holen.

Und es gibt doch einen Aufwärtstrend im Kreis Bautzen! In den Häusern der Oberlausitz-Kliniken in Bautzen und Bischofswerda sind die Geburtenzahlen seit zehn Jahren konstant – und das trotz des stetigen Einwohnerrückgangs.