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Kinder bauen sich ihr Spielzeug selbst

Im Tierhäuschen kommen die Mädchen und Jungen zeitweise ohne Puppen, Autos und Co aus. Einige Eltern waren skeptisch.

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© Dietmar Thomas

Von Cathrin Reichelt

Waldheim. Arno hat sich mit zwei Seilen eine Pappkiste über die Schultern gehängt. Die Kiste ist mit bunten eckigen und runden Papierschnipseln beklebt. „Das ist mein Auto“, erklärt der Junge und flitzt los. „Pass doch auf. Hier liegt unser Boot“, mahnt Ron und schiebt eine zusammengefaltete Pappe über den Boden. Etwas abseits spielen fünf Mädchen. Eine von ihnen „bekommt ein Baby“, die anderen sind Ärztinnen und Krankenschwestern. Sie hantieren mit echten Spritzen ohne Nadeln, Verbandsmaterialien, Gummihandschuhen und leeren Krankenakten.

Diese Utensilien und noch zahlreiche andere Materialien haben Eltern für die spielzeugfreie Zeit in der Kindertagesstätte Tierhäuschen in Waldheim zur Verfügung gestellt. „Wir haben schon lange damit geliebäugelt, soetwas auszuprobieren“, sagt Kita-Leiterin Ines Hebenstreit. Vor zwei Jahren haben die Erzieher dann die Eltern über diese Idee informiert. Viele seien zuerst skeptisch gewesen. Sie hätten aber schnell gemerkt, wie vorteilhaft das Projekt für die Entwicklung der Mädchen und Jungen ist. Denen hat es so viel Spaß gemacht, dass die Plastikautos und -puppen nicht nur den geplanten einen, sondern drei Monate lang im Schrank blieben.

Jetzt läuft das Projekt zum zweiten Mal. Diesmal wurden die Krippenkinder nicht ganz so intensiv einbezogen. Sie basteln weniger, sondern machen zum Beispiel mit Plastikflaschen Musik. Für die älteren Kinder brachten die Eltern so viele Materialien mit, dass die Kinder Vorhandenes immer wieder verändern können. So stellt der Stapel aus Kartons an einem Tag eine Ritterburg dar und wird einige Stunden später mit wenigen Handgriffen zur Tankstelle oder zum Pferdestall.

„Die Kinder entwickeln unheimlich viel Fantasie“, so Ines Hebenstreit. „Beim Basteln kommen sie zur Ruhe, probieren sich aus, entdecken immer wieder Neues und erleben dabei viele Glücksmomente.“ Die Kinder versinken regelrecht in dem, was sie tun und sie sind stolz auf das, was sie selbst geschaffen haben. „Wir sind erstaunt, wie viele Ideen die Kinder entwickeln“, meint die Kita-Leiterin. Bei der Umsetzung beweisen sie zunehmend mehr Ausdauer und Konzentration.

Dabei bleibt der Lerneffekt nicht aus. Die Formen Dreieck, Viereck und Quadrat kommen zum Beispiel fast überall vor, Farben ebenso. Auch der Teamgeist wird gefördert. Denn bei größeren Dingen, an denen mehrere Kinder arbeiten, sind Absprachen notwendig. „Die Kinder müssen mehr überlegen als sonst, wenn sie bespaßt werden. Sie sollen ihre Fähigkeiten entdecken und sie auch andere weitergeben“, sagt Ines Hebenstreit.

Unter dem Motto „Weniger ist mehr“ sammeln die Mädchen und Jungen jeden Donnerstag Stöcke, Zapfen und andere Naturmaterialien und bauen daraus Buden oder basteln Ritterschwerter. Denn donnerstags ist Waldtag.

Auch in der Einrichtung macht die spielzeugfreie Zeit nicht automatisch Pause, wenn die Kinder aus dem Haus in den Garten gehen. „Die Eltern haben echte Kuchenformen, Schüsseln, Töpfe und Besteck mitgebracht. Damit lassen sich hervorragend Sandkuchen backen. Die Kinder wollen im Sandkasten gar kein Plastespielzeug mehr“, meint die Kita-Leiterin. Außerdem beleben die Erzieherinnen alte Kinderspiele wie Seilspringen, Gummihopse, Himmel und Hölle oder Faules Ei wieder.

Wie lange die spielzeugfreie Zeit diesmal geht, ist nicht festgelegt. Seit April läuft sie bereits. Die Kinder entscheiden selbst, wann sie Plastetraktor und Co. wieder aus dem Schrank holen wollen. Die selbst gebauten Spielzeuge werden deshalb nicht weggeworfen. „Wir lassen sie zerspielen“, meint Ines Hebenstreit. Mit dem Gruppenwechsel zum neuen Schuljahr werde dann gemeinsam mit den Kindern überlegt, welche Basteleien sie behalten wollen.