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Kicken und kieken

Dynamo lädt Flüchtlingskinder zum Trainieren ein. Die Jungs haben Spaß, während der Klub mögliche Talente sichtet.

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© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Erst hat Taha die Tage gezählt, dann die Stunden. Am Dienstagabend ging er ins Bett und wusste: Noch einmal schlafen, dann würde er Fußball spielen. Nicht auf Schotter, zwischen Zelten, sondern auf grünem Rasen, zwischen Toren. Am nächsten Morgen ist der 13-jährige Syrer noch keine Minute auf dem Platz im Sportpark Ostra, da hat er sich schon einen Ball geschnappt und jongliert ihn mit den Füßen, die in Chucks-Turnschuhen stecken. Der Ball bleibt in der Luft, das Lächeln bleibt im Gesicht. Taha sieht sehr glücklich aus.

Um 10 Uhr ging es los im Ostragehege.
Um 10 Uhr ging es los im Ostragehege. © Anna Hoben
Flüchtlingskinder trainieren unter den Augen von Nachwuchscoachs.
Flüchtlingskinder trainieren unter den Augen von Nachwuchscoachs. © Anna Hoben
Rund 70 Kinder nehmen an dem Training teil.
Rund 70 Kinder nehmen an dem Training teil. © Anna Hoben
Mit dabei ist auch Cristian Fiel (r.).
Mit dabei ist auch Cristian Fiel (r.). © Anna Hoben

So wie auch die anderen 60 Flüchtlingskinder und Jugendlichen, die an diesem Mittwochvormittag auf Einladung von Dynamo auf den Sportplatz gekommen sind. Die Kinder wollen kicken. Die Leute von Dynamo wollen kieken, ob sich unter den Flüchtlingen herausragende Fußballtalente verstecken. Vor allem aber wollen sie den Kindern und Jugendlichen einen unbeschwerten Tag bescheren, der die Gedanken an die Flucht und das beschwerliche Leben in der Notunterkunft für ein paar Stunden aus den Köpfen vertreibt.

Auch Cristian Fiél ist gekommen. Den ehemaligen Spieler und Mannschaftskapitän von Dynamo Dresden kennen die Kinder indes nicht; sie wussten ja bisher gar nicht, dass es Dynamo gibt. „Kennt ihr unseren Klub?“, fragt ein Vereinsmann auf Englisch, als sich die Jungs in einem Block aufstellen: Begrüßung, Gruppenfoto. „No“, tönt es aus den Reihen, und der Mann erklärt: „Es ist einer der erfolgreichsten Klubs in Deutschland.“ Ein Dolmetscher übersetzt ins Arabische, einige Jungs rufen: „Afghani, please“, bitte noch mal auf Afghanisch. Sie sind begierig, alles zu erfahren, und noch begieriger, loszulegen.

Doch zuerst: Vorstellung Jan Seifert, Chef der Nachwuchsakademie. Dann werden die Jungs in Altersgruppen eingeteilt. Talente-Sichtung für die Jahrgänge 2001 bis 2007, so war die Sache angekündigt, aber natürlich sind auch Ältere gekommen. „Von acht bis 40 Jahren“, sagt Taufik Abas, der für das Rote Kreuz in der Notunterkunft auf der Bremer Straße arbeitet. Heute ist er als Begleitung und zum Dolmetschen dabei. Kinder, Väter, Pubertierende, sie alle nutzen die Gelegenheit.

Auch Mädchen wären willkommen gewesen, aber es sind weit und breit keine zu sehen. Oder halt, da am Spielfeldrand, das Kind mit dem langen Pferdeschwanz, von einem Haargummi zusammengehalten, das ist doch ein Mädchen? „Nein, nein“, sagt der Vater, Jasim Makalat aus dem Irak, „es ist ein Junge, er heißt Ibrahim“. Er lacht, küsst und herzt das Kind, zeigt auf den Zopf und fragt auf Englisch: „Hübsch, oder?“ Mit seinen vier Jahren traut der kleine Ibrahim sich noch nicht aufs Spielfeld. Lieber schiebt er ein bisschen den Ball hin und her, bleibt dabei aber die ganze Zeit über sicher an Papas Hand.

Ganz anders der 13-jährige Taha. Er hat sich inzwischen mit den anderen seiner Altersklasse an einem Hütchenparcours aufgestellt. Die babylonische Sprachverwirrung ist vorerst vergessen, im Sport wird eine eigene Sprache gesprochen, und die geht so: den Ball um die Hütchen zirkeln, zurück, abklatschen, der Nächste ist dran. „Ja, gut“, lobt Nachwuchstrainer Seifert, „aber vergesst nicht die linke Seite“. Zwei Jungs aus der Dynamo-Nachwuchsakademie machen vor, wie man den Ball zwischen den Füßen hin- und herschaukelt; Taha macht es nach. Wenn er gerade nicht dran ist, jongliert er den Ball mit dem Kopf und klatscht mit Reportern ab.

In einer Pause erzählt der lebhafte Junge ein bisschen von sich und seinem Leben: Mit seiner Mutter und seinen fünf Geschwistern ist er aus der syrischen Stadt Rakka nach Deutschland geflüchtet und lebt seit zwei Monaten in einem Zelt in der Notunterkunft auf der Bremer Straße. Über das Meer sind sie hergekommen. Ein Schulterzucken: Er weiß nicht, wie all die Länder heißen, durch die sie gereist sind. Sein Vater ist zurzeit noch in einem anderen Lager, irgendwo an der Grenze zu den Niederlanden. Auch zu Hause in Syrien hat Taha Fußball gespielt, in den Gassen der Stadt haben sie Teams gebildet.

Als Stürmer habe er schon drei Tore geschossen an diesem Vormittag, auch wenn er nicht einwandfrei fit sei wegen einer Verletzung. Auf seinem Bauch klebt ein großes Pflaster, aber Taha winkt ab. „Nur ein Kratzer.“ Sein Vorbild? Messi. Der Name fällt oft an diesem Tag. Frage an Cristian Fiél: „Ist der neue Messi schon gefunden?“ Nein, sagt der Ex-Kapitän und lacht. „Darum geht es heute auch nicht.“

Nein, heute geht es ums Dribbeln, Zirkeln, Kicken. Um Spaß, befreiendes Lachen, Abwechslung. Drei Wünsche hat Taha: dass er seinen Vater bald wiedersieht. Dass er zur Schule gehen kann.„Ich lerne ein bisschen Deutsch in dem Camp, aber das reicht noch nicht.“ Und Nummer drei? Leuchtende Augen. „Ein Fahrrad.“

Sie wollen diese Aktion jetzt regelmäßig wiederholen, sagt Dynamos U15-Trainer Daniel Holke. „Ich glaube, die Kinder werden heute mit einem Lächeln nach Hause gehen.“ Er stutzt kurz. „Also, in die Zelte.“