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Keine Lust auf Mauern

Seit zehn Jahren ist Martin Wallmann Chef des Epilepsiezentrums Kleinwachau. Und Fan eines Fußwegs.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Liegau-Augustusbad. Wer in den Zeitungen der vergangenen zehn Jahre blättert, könnte auf die Idee kommen, dass Martin Wallmann Bauunternehmer ist. Und ein bisschen stimmt das ja auch. Denn fast immer, wenn der Direktor des Epilepsiezentrums Kleinwachau auf einem Zeitungsfoto auftaucht, trägt er einen Bauhelm.

Und dennoch: Das Resümee seines Jubiläums, das er am morgigen Donnerstag feiern kann, ist wohl nicht in erster Linie die Aufzählung der durchaus stolzen Zahl erfolgreicher Bauprojekte auf dem Areal des Epilepsiezentrums im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad – oder auch in den Außenstellen in Radeberg. Nein, Martin Wallmanns Schwerpunkt der vergangenen zehn Jahre, die er nun also Chef des Epilepsiezentrums ist, war und ist stets ein anderer. Wobei auch das mit bauen zu tun hat. Zumindest sprichwörtlich. Es geht ihm ums Brückenbauen – und ums Abbauen. Das Abbauen der Mauer rings ums Epilepsiezentrum, in dem seit gut 130 Jahren Epilepsiekranke und mehrfach Schwerstbehinderte betreut werden. „Diese Mauer gibt es zwar schon seit den 1970er Jahren nicht mehr, nachdem der Kleinwachauer Pfarrer Taut den Zaun abbauen ließ – aber eine gefühlte Mauer war dennoch irgendwie geblieben“, kann sich Martin Wallmann noch genau an seine erste vorsichtige Runde über das idyllische Gelände zwischen der Wachauer Straße und der Schönen Höhe oberhalb des vergessenen historischen Augustusbads erinnern. Mit seiner Frau war er damals – „vor zehn Jahren und ein paar Monaten“ – nach Liegau gekommen. An einem Sonntag. „Wir wollten uns umschauen, ich wollte ein Gefühl für das Epilepsiezentrum bekommen, dessen Leitung mir angeboten worden war“, erzählt Martin Wallmann, der damals noch Chef der Arbeiterwohlfahrt auf dem Sonnenstein in Pirna gewesen war; mit Behindertenwerkstätten und weiteren Betreuungsangeboten. „Und das Gelände hier in Liegau war offen, aber es wirkte doch wie eine andere Welt“, kann er das Gefühl noch deutlich beschreiben. Ob schon da in ihm die Idee gewachsen ist, die Liegauer, die Radeberger stärker hineinzuholen in „die Anstalt“, wie vor zehn Jahren noch immer mancher mit Blick auf Kleinwachau sagte? „Kann sein, aber in jedem Fall war ich überwältigt und begeistert von dieser wunderschönen Anlage!“ Der Entschluss stand jedenfalls schon an diesem Sonntag fest: Martin Wallmann wird Ja sagen zu Kleinwachau. Dass er ein paar Jahre später auch „richtiger“ Liegauer werden würde, dass er das alte Gemeindeamt an der Rödertalstraße kauft und als Wohnhaus sanieren lässt, dass er mal in einem der ungewöhnlichsten Chöre der Gegend singt, dem Laienchor Liegauer Liederlust, alles das konnte er da natürlich noch nicht ahnen.

Als Pfarrerssohn gestrandet
Schnell bekam er aber mit, was noch immer sozusagen an der unsichtbaren Mauer mauerte: „Es war die Historie“, sagt Martin Wallmann. Das Epilepsiezentrum war zu DDR-Zeiten eine Art Exklave. „In dieser kirchlichen Einrichtung arbeiteten viele, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, da gab es auf beiden Seiten der Wachauer Straße eine Menge Skepsis“. Man ging sich offenbar aus dem Weg, beschreibt Martin Wallmann, was man über diese Zeit erzählt. „Und etwas Ähnliches hatte ich ja auch bereits in der Hohwald-Klinik erlebt, wo ich zu DDR-Zeiten zehn Jahre lang als OP-Helfer gearbeitet habe“, sagt er. Auch dort, versteckt in dichten Wäldern auf den ersten Ausläufern der Sächsischen Schweiz, „gab es eine solche unsichtbare Mauer“. Hier war er als von den Parteifunktionären kritisch beäugter, unangepasster Pfarrerssohn am staatlichen Ufer gestrandet. Eine ähnliche Geschichte also findet er mit Blick auf Kleinwachau. „Also haben wir dann kurz nach meiner Amtsübernahme hier im Epilepsiezentrum einfach ein Sommerfest veranstaltet und die Liegauer eingeladen“, sagt er – und klingt noch heute entschlossen. Es war ein vorsichtiger Versuch, „aber einer voll Optimismus“, beeilt er sich anzufügen. Und sollte recht behalten: „Die Liegauer kamen!“

Wobei er natürlich nicht bei Null anfing, als er am 1. Februar 2008 ins Büro des damaligen Direktors Wolfgang Brinkel im ersten Stock des Brunnenhauses mitten im Epilepsiezentrum einzog. Und er wählt dazu ein auf den ersten Blick nicht so recht passendes Beispiel: „Der erste Fußweg, der nach der Wende in Liegau gebaut wurde, war der vom Epilepsiezentrum in den Ortskern.“ Der im September 2010 verstorbene Liegauer Ortsvorsteher Peter Adler hatte damals eine Art Fußweg-Programm gestartet, um für die Schulkinder und auch für die Bewohner des Epilepsiezentrums für Sicherheit zu sorgen. „Und dieser Fußweg war eine wichtige Verbindung hinein in den Ort“, sagt Martin Wallmann. Mittlerweile führt nicht nur dieser Fußweg in den Ort, sondern längst leben zahlreiche einstige Bewohner des Epilepsiezentrums in den vielen Außenwohngruppen. In Liegau, auch in Radeberg – dort, wo ja an der Stolpener Straße eine wichtige Außenstelle der Kleinwachauer Werkstätten zu finden ist. „Diese Außenwohngruppen sorgen für mehr Selbstständigkeit – und sie zeigen, dass Behinderte eben nicht in abgeschlossenen Einrichtungen leben müssen, sondern durchaus selbstbewusst mitten unter uns“, freut sich Martin Wallmann, dass diese Ideen längst angekommen und angenommen sind. Als Nächstes will er ja bekanntlich mit Radebergs OB Gerhard Lemm und dem Liegauer Ortsvorsteher Gabor Kühnapfel ein spannendes Pilotprojekt auf den Weg bringen: Einen gemeinsamen Schulcampus für die Förderschule des Epilepsiezentrums und die Liegauer Grundschule. Beide Schulen bleiben dabei eigenständig, nutzen aber zahlreiche Räume gemeinsam; Kinder mit und ohne Handicap quasi unter einem Dach. „Ein wichtiger Schritt“, ist Martin Wallmann überzeugt. Und würde das Projekt möglichst gern in den kommenden drei Jahren umsetzen wollen, „denn dann gehe ich in Rente“, sagt er – und das Feuer ist zu spüren.

Der Bauhelm hat wenig Ruhe
Aber das mit der Rente will ihm so richtig gar niemand glauben. Zu agil, zu ideenreich sitzt er da in seinem Büro. Und auf dem Schrank liegt eben auch besagter Bauhelm. Den hat er gebraucht, um den fast fünf Millionen Euro teuren Krankenhaus-Neubau auf dem Areal in Liegau zu betreuen, und auch beim Spatenstich für die beiden Außenwohngruppen an der Schloßstraße in Radeberg. Oder jüngst für die neue Halle am Werkstattbereich an der Stolpener Straße in Radeberg. Die Werkstatt brauchte dringend mehr Platz, weil die Auftragslage sehr gut ist, freut sich der Epilepsiezentrumchef. Er freut sich vor allem für „unsere Mitarbeiter“, wie er die in den Behindertenwerkstätten Aktiven stets mit ansteckender Normalität nennt. „Es sind gute Arbeitsplätze, wir zahlen natürlich Mindestlohn – und der eine oder andere schafft den Sprung auf den sogenannten ersten Arbeitsmarkt“, beschreibt Martin Wallmann. Und sein Blick ist feurig. Denn auch das ist wieder einer dieser Hammerschläge gegen diese unsichtbare Mauer …

„Wir haben noch einiges vor“, sagt er. Und ist schon wieder auf dem Sprung …