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Keine Angst vor dicken Dingern

Angehende Forstwirte müssen raus aus der Komfortzone – und sie lieben es. Eine Lehrstunde im Tharandter Wald.

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© Andreas Weihs

Von Jörg Stock

Tharandt. Friederike hat die Bäume verknotet. Keine Schaschlikspieße sind das, die der Sturm hier herumwirbelte, sondern hundertjährige Fichten, Holz, das Spannung in sich hat, das töten kann. Ein Fluch für den Forstwirt, sagt Andreas Walther. Aber für ihn irgendwie auch ein Segen. Als Lehrmeister muss er den Nachwuchs fit machen für alles, was der Wald zu bieten hat. Und dazu gehört auch ein Baum-Mikado wie dieses. „Hier werden die Jungs mit dem Problem hautnah konfrontiert.“ Forstwirte arbeiten jenseits der Komfortzone. Sie bewegen schwere Lasten, führen gefährliches Werkzeug, sind draußen bei jedem Wetter. Trotzdem ist die Lehre populär. Der Sachsenforst registriert pro Ausbildungsplatz im Schnitt sechs Bewerber. Die interessante und vielseitige Tätigkeit wird geschätzt, heißt es aus der Sachsenforstzentrale in Graupa. Zurzeit lernen beim Staatsbetrieb 109 junge Leute den Forstwirtsberuf. Dieses Jahr sollen erneut 40 Lehrlinge eingestellt werden.

Die Lehrstunde im Wald

Übersicht schaffen: Tom Casper kappt mit seiner Motorsäge das Astwerk.
Übersicht schaffen: Tom Casper kappt mit seiner Motorsäge das Astwerk.
Klar zum Rücken: Hannes Schulz hat die Seilschlinge um den Stamm gelegt.
Klar zum Rücken: Hannes Schulz hat die Seilschlinge um den Stamm gelegt.
Bergung geglückt: Die Fichte hängt am Rücke-Traktor von Max Mitzscherlich.
Bergung geglückt: Die Fichte hängt am Rücke-Traktor von Max Mitzscherlich.
Motivieren wie ein Fußballcoach: Meister Andreas Walther funkt Instruktionen.
Motivieren wie ein Fußballcoach: Meister Andreas Walther funkt Instruktionen.

Tom, Max und Hannes sind im dritten Lehrjahr, gehören also zu den alten Hasen. Heute steht Ausbildung im Holzrücken an. Da kommt dieses Fichtenknäuel an Bellmanns Rundweg im Tharandter Wald gerade recht. Eben hat Hannes mit dem quittegelben LKT, einem sechs Tonnen schweren Forstschlepper, drei Stämme aus dem Wirrwarr bugsiert. Die Aufgabe reizt ihn. Eigentlich eine Horror-Geschichte, sagt er, weil das Holz unberechenbar ist. „Aber auf jeden Fall interessant.“

Andreas Walther, 53, Forstwirtschaftsmeister aus Schmiedeberg, ist der Chefausbilder im Forstbezirk Bärenfels, ein erfahrener Mann, seit 1987 dabei, drahtig, wettergegerbtes Gesicht, graue Bartstoppeln. Ernst mustern seine Augen den Baumsalat. Sicheres Arbeiten ist das A und O, schärft er den Jungs ein. Wo stehe ich? Wie fange ich an? Was kommt als Nächstes? Immer drei Schritte vorausdenken, mindestes. Es darf einfach nichts passieren bei den Kräften, die hier walten. „Denn wenn was passiert, wird es immer heftig.“

Nur selber feilen macht scharf


Tom greift zur Motorsäge, um Äste zu kappen, Überblick zu schaffen. Der 18-Jährige aus Bannewitz fühlt sich wohl im Wald, auch bei Mistwetter. Deshalb hat er sich den Job ja ausgesucht, sagt er, um nicht die ganze Zeit drin zu hocken. Dennoch: Ist er nach einem Tag an der Säge nicht schlagkaputt? Anfangs schon. Aber das hat sich gegeben. „Mit der Zeit wird man fitter.“

Tom klettert in den wüsten Nadelhaufen, reißt die Säge an. Die Späne stieben. Ein scharfes Werkzeug spart Kraft, Zeit und Benzin, erklärt Max, der die Aktion beobachtet. Für scharfe Sägen müssen die Lehrlinge jeden Tag selber sorgen. Nach dem Treffen morgens halb sieben wird zuerst an den Sägezähnen gefeilt. Doch muss zur Schärfe auch die richtige Taktik am Holz kommen. Wer nicht mitdenkt, seine Säge einklemmt, hält die ganze Rotte auf.

Tom hat Luft gemacht. Ein Stamm, der schräg aus dem Reisig ragt und dessen anderes Ende in einer Schlucht fest steck, soll als nächster geborgen werden. Hannes kommt mit der Stahltrosse angestapft, die er um das Stammende legt und arretiert. Was den Wald angeht, ist der 20-Jährige aus Frauenstein „vorbelastet“. Sein Vater, Revierförster im Erzgebirge, hat ihn oft mitgenommen zur Arbeit, auch auf die Jagd. Was der Papa macht, das wollte er auch machen, dachte Hannes als Kind. Der Kindheitstraum ist ihm geblieben und scheint nun wahr zu werden. „Ich habe nichts anderes gefunden, was mich wirklich begeistert hätte“, sagt er.

Max steht jetzt am Schlepper und verfolgt das Vertäuen der Fichte. Mit der Fernbedienung am Gürtel hat er das Kommando über die Seilwinde. Damit wird er die tonnenschwere Holzrolle aus dem Verhau ziehen. Auch Max ist sehr zufrieden mit seiner Berufswahl. Am Band stehen? Jeden Tag die gleiche Schraube in das gleiche Gewinde drehen? Das wäre nichts für ihn. Hier im Wald, sagt er, ist jeder Tag anders. Die Jobchancen schätzt er optimistisch ein. „Der Wald wächst ja immer.“

Tatsächlich sind die Forstwirte vom Sachenforst begehrt. Schon während der Ausbildung, berichtet Andreas Walther, fragen die Firmen bei ihm an, ober er tüchtige Leute für sie hat. Eigene Lehrlinge können sich die Forstunternehmen in der Regel nicht leisten, weil Technik und Personal im Tagesgeschäft ausgelastet sind. Dass Sachsenforst für die Privaten Nachwuchs produziert, findet Ausbilder Walther gar nicht schlimm. Die meisten Firmen arbeiten ohnehin auch im staatlichen Wald. Die Qualität, die dann gefordert sei, bekämen die Lehrlinge hier bei ihm eingeimpft.

Der Sachsenforst selbst reduziert seine Waldarbeitertruppe seit Jahren. Die Mannschaftsstärke von aktuell fast 500 Mann soll weiter sinken, auf 380 im Jahr 2021. Ab diesem Zeitpunkt können Ausgelernte, die bisher in der Regel befristet weiterbeschäftigt wurden, wieder vermehrt mit unbefristeten Jobs rechnen. Dauerhaft eingestellt wird aber auch jetzt schon, teilt die Sachsenforstleitung mit. So hätten voriges Jahr 16 Forstwirte einen unbefristeten Vertrag erhalten.

Max dreht an den Knöpfen der Konsole. Das Seil ruckt, zerrt den Stamm durchs Unterholz ins Freie. Andreas Walther ist zufrieden. Freilich, ohne den Lehrauftrag, ohne die dauernde Verantwortung, würde er wohl ruhiger leben. Aber auch freudloser, auf eingefahrenen Gleisen. Durch den Umgang mit der Jugend bleibt er selber jung, bleibt „up to date“, wie er sagt. „Ich kann einfach nicht stehenbleiben.“