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Kein zweites Dresden

Görlitzer reden über Asyl, „Görlitz wehrt sich“ distanziert sich von Rechtsextremen – es wächst die Hoffnung auf einen Görlitzer Weg in der Asyldebatte.

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© nikolaischmidt.de

Von Sebastian Beutler

Ginge es nach der Piratenpartei, die Besucher des Diskussionsabends am Mittwoch im Wichernhaus müssten morgen allesamt vor den Schranken der Görlitzer Gerichte stehen. Denn was schrieb Jens Bekersch, früherer Hoffnungsträger der Görlitzer Linkspartei und nach einem Krach zu den Piraten gewechselt, am Dienstag noch im Internet: „Morgen redet die CDU in Görlitz mit jenen, die Männer, Frauen und Kinder in die Gaskammer wie im Dritten Reich schicken wollen. Mit jenen, die Gewalt und Hass in Deutschland schüren und mit jenen, die mitverantwortlich dafür sind, dass Asylbewerber-Unterkünfte brennen und sich Menschen, die unseren Schutz brauchen, fürchten müssen.“

Nach dem Mittwochabend kann freilich den Görlitzer Gerichten Entwarnung vor einer Verfahrensflut gegeben werden. Selbst ein flüchtiger Blick auf das Foto oben zeigt, wie weltfremd die Piraten mittlerweile argumentieren. Sie haben sich – aus Naivität oder politischer Dummheit sei dahingestellt – verrannt. Im Wichernhaus saßen jedenfalls Pfarrer und Unternehmer, Rentner und Studenten, Politiker ganz unterschiedlicher Coleur von CDU über Bündnisgrüne bis zur AfD, Asylkritiker und Willkommensfreunde nebeneinander – mithin ein durchaus repräsentativer Ausschnitt aus der Görlitzer Gesellschaft. Darunter auch der Chef der Bürgerfraktion im Stadtrat, zu der auch die Piraten zählen. Kann er solche Äußerungen seiner Fraktions-Mitparteien auf Dauer dulden?

Allesamt haben sie zwei Stunden lang ernsthaft über das Thema gesprochen, das derzeit Görlitz und das ganze Land in Atem hält: der Flüchtlingsandrang. Nun hat dieser Abend andererseits die (Görlitzer)-Welt nicht grundlegend verändert. Es bestehen die unterschiedlichen Auffassungen weiter, auch wird es vermutlich am 14. November eine Demonstration der Initiative „Görlitz bewegt sich“ geben. Etwas anderes konnte auch gar nicht erwartet werden. Denn der Mittwoch vermittelte auch eine Dimension von der Völkerwanderung, die rund um den Globus stattfindet und deren afrikanische und nahöstliche Wege im Moment und möglicherweise auch auf Dauer eben nach Europa führen. Asylbewerber, Flüchtlinge, Migration – das wird uns in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnte, beschäftigen. Es wird uns auch verändern. Wie, das werden die nächsten Monate erst zeigen. Wie könnten also dann Meinungsverschiedenheiten an einem solchen Abend ausgeräumt werden? Darum ging es ja schließlich auch nicht. Der Abend sollte vielmehr zeigen, dass es jenseits von Demonstrationen, Haßreden und Aggressionen auch andere, friedfertigere Möglichkeiten gibt, in den gegenseitigen Austausch von Argumenten zu kommen. Ein bisschen erinnerte die Versammlung an jene im damaligen Karl-Marx-Klubhaus im Herbst 1989, als die Bürger mit den Spitzen des Görlitzer Rathauses ins Gespräch kamen. Trotz Sprechstunden von Politikern, trotz Bürgerfragestunden im Stadtrat, trotz Mitarbeit in Vereinen und Verbänden – es scheint von Zeit zu Zeit doch solcher Runden zu bedürfen, um den Faden zwischen Regierenden und Regierten immer wieder aufs Neue zu knüpfen.

Der vom Mittwoch ist noch nicht sehr stark und reißfest. Auch das kann nicht überraschen. Zu lange haben sich alle Lager gegenseitig aufgeschaukelt, herumposaunt und zu wenig miteinander gesprochen, als dass zwei Stunden alles wieder bereinigen würde. Es wäre daher gut, wenn es zu der versprochenen Fortsetzung kommt – möglichst bald auch. Dann könnte das Gespräch vielleicht auch darüber geführt werden, was der Flüchtlingsandrang auch von jedem einzelnen Bürger abverlangt und ob sich die weit verbreitete Unzufriedenheit wirklich nur rund um die Asylpolitik dreht. Oder ob es eine willkommene Folie ist, auf der auch all die kleinen Ungerechtigkeiten und Mühen des Alltags abgeladen werden: Vom monatelangen Warten auf einen Facharzttermin bis zu einem Zuschuss von einer Behörde. Möglicherweise kommt da auch auf die Kommunalpolitik noch ein Realitätsschock zu.

Nicht dabei waren am Mittwoch die Piraten und die Linkspartei. Was einen ja – wenigstens bei der Linken – schon verwundert, weil doch ausgerechnet deren Chef, Mirko Schultze, Oberbürgermeister Siegfried Deinege aufgefordert hat, für den 14. November ein Einheitsforum der Demokraten gegen die Demonstranten zu organisieren. Zeitgleich zur Demo von „Görlitz bewegt sich“ und möglichst auch wieder nah an deren Versammlungsort. Als wenn das die Lehren aus dem 3. Oktober sein können. Schon damals scheiterte die Einheitsfront der Willkommensfreunde auf dem Wilhelmsplatz, und die Zeit- und Ortsnähe führte schließlich zu körperlicher Gewalt aus dem linken Lager. Die Mehrheit der politischen Akteure in der Stadt hat einen naheliegenderen Schluss gezogen: Mit den Menschen reden, die unzufrieden, aber gesprächsbereit sind. Und sie nicht in einem großen Rundumschlag als Nazis zu bezeichnen. Was Unsinn ist, zu ungewollter Solidarität führt und die bestehende Kluft verschärft. Am Ende dieser Woche gab es auch von der Initiative „Görlitz wehrt sich“ ein Signal zur Veränderung: Man nannte sich um, beschrieb seine Ziele und distanzierte sich von rechtsextremen Parteien. Am 14. November kann die Initiative beweisen, ob sie sich wirklich von radikalen Positionen entfernt. Dann könnte sich in Görlitz etwas bewegen.