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Kein Zutritt für DDR-Bürger

Vor 35 Jahren begann der „Bellevue“-Bau. Vorher retteten Dresdner barocke Geschichte.

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© ZB

Von Lars Kühl

Den Bezug zur Umgebung können Hotels oft nicht leugnen. Da ist von der Höhe, zur Post oder irgendeinem Baum die Rede. Und auch das „Bellevue“ trägt seinen Namen häufig zu Recht. In Dresden auf jeden Fall. Die Bezeichnung steht für „Schöne Aussicht“, was für die Nobelherberge am Neustädter Markt treffender kaum sein kann. Wer von dort aus dem Fenster über die Elbe schaut, hat den Canaletto-Blick mitgebucht. Dabei stand das ursprüngliche „Bellevue“ auf der anderen Flussseite, neben dem Italienischen Dörfchen. Bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gehörte es zu den besten Adressen in der Stadt. 1951 wurde es aber abgerissen.

Zu diesem Zeitpunkt sollte das barocke Bürgerhaus Nummer 15 zwischen Blockhaus und Japanischem Palais eigentlich gar nicht mehr stehen. Als eines der wenigen Gebäude hatte es die Bombardierungen im Februar 1945 unbeschadet überstanden. Seine Nachbarhäuser, die zu einer Zeile an der Großen Meißner Straße gehörten, waren dagegen getroffen und ausgebrannt. Nummer 15 war nach seinem Bau ab 1724 zunächst ein Wohn-, Brau- und Malzhaus. Zehn Jahre später wurde es nach Entwürfen des Zwinger-Architekten Daniel Pöppelmann umgestaltet und, inzwischen im Besitz des Sächsischen Hofes, als Kanzlei genutzt, ab 1736 als Ministeriumssitz. Seinen bis heute vorhandenen doppelten Innenhof erhielt das Barockgebäude, weil es aus einem kleinen Palais und einem bürgerlichen Stadthaus vereinigt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ruinen in der Nachbarschaft beseitigt. Auch Nummer 15, welches aufgrund seiner Nutzung „Die Regierung“ oder „Kollegienhaus“ genannt wurde, sollte 1950 abgerissen werden. Die Rechnung hatten die Auftraggeber aber ohne die Dresdner gemacht. Es gab massive Bürgerproteste gegen die geplante Sprengung. Mit Erfolg – so wurde das Haus zum ersten Mal gerettet.

Bis zu Beginn der 1980er-Jahre stand es allein und verfiel trotz mehrerer Nutzungen, unter anderem vom Unternehmen „Heckers Sohn“ als Eisenwarenhandlung, immer mehr. Damals sollte der Neustädter Markt wieder mehr belebt werden. Ein Hotelneubau war geplant. Das barocke Überbleibsel war dabei im Weg. Es sollte weichen, auch weil der SED-Führung in Berlin die Sanierung zu teuer war (Schieferdecker, „Das war das 20. Jahrhundert in Dresden“). Wieder gründete sich eine Initiative aus Denkmalschützern, Architekten und Bürgern. Vehement protestierten sie. Und wieder verhinderten sie den Abriss. Dieses Mal quasi in letzter Minute, denn die Sprenglöcher waren schon gebohrt.

Eröffnung zeitgleich mit Semperoper

Ein neuer Entwurf sah nun vor, den Barockbau in der Mitte des Hotels zu integrieren. Ein schwieriges Unterfangen für den japanischen Architekten Takeshi Inoue, der erst davon ausging, dass der Altbau abgerissen wird. Nach der Änderung der Entscheidung musste er seine Pläne anpassen. Am 15. März vor 35 Jahren rollten die Bagger an. SED-Bezirkschef Hans Modrow war beim symbolischen ersten Aushub dabei. Drei Jahre später, am 13. Februar 1985, wurde das Nobelhotel mit internationalem Standard und 320 Zimmern zeitgleich mit der wiederaufgebauten Semperoper eröffnet. Es gab schon damals einen Wellnessbereich und Kongresssäle. Für normale DDR-Bürger blieb das „Bellevue“ allerdings tabu – zumindest die Hotelzimmer. In die riesige Gaststätte mit ihren 830 Plätzen durften sie aber. Dort gab es sogar das „gute Radeberger“ (Sehn, „Bitte warten, Sie werden platziert!“). Eine Seltenheit, denn die Exportbierbrauerei produzierte zu zwei Dritteln fürs westliche Ausland. Das Haus galt als das „komfortabelste Valuta-Hotel der DDR“. Im hauseigenen Intershop konnten die Gäste Westprodukte kaufen. Auch wer von den Dresdnern „harte Währung“ besaß, wurde bedient. Kinder machten große Augen, wenn sie die bunten Matchbox-Autos für Jungs oder die niedlichen Monchichi-Äffchen für Mädchen sahen.

In der Zeit der politischen Wende wurde das Hotel zu einem wichtigen Ort für Wiedervereinigungs-Verhandlungen. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl traf sich hier 1989 mehrfach mit Hans Modrow, dem damaligen Ministerpräsidenten der DDR. Auch die Arbeitsminister der G8-Staaten tagten 2007 an der Elbe. Damals waren die notwendige Renovierung und Umgestaltung nach dem Hochwasser von 2002 gerade zweieinhalb Jahre abgeschlossen.

Das „Bellevue“ gehört nach wie vor zu den vornehmen Hotels der Stadt. Seine gelbe Mitte ist ein Hingucker geblieben. Fünfgeschosser mit Sandsteinfassaden und Mansardkupferdächern flankieren sie auf beiden Seiten. Es gibt Ideen, die barocken Nachbarhäuser zum Blockhaus hin wiederaufzubauen. Der damals weitläufig angelegte Garten an der Elbe war mit neubarocken und zeitgenössischen Elementen sowie den japanischen Kirschbäumen einer der schönsten in der DDR. Bis heute prägt er, 2004 neu gestaltet, das Neustädter Ufer.