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Kein Platz für Tito

An Jugoslawien einstigem Staatslenker scheiden sich noch immer die Geister.

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© dpa

Von Thomas Roser

Die tagelangen Proteste empörter Anhänger von Jugoslawiens einstigem Landesvater fruchteten nichts. Nach heftiger Debatte beschloss der Straßenbenennungsausschuss in Zagreb mit 4:1-Stimmen, den „Marschall-Tito-Platz“ nach 71 Jahren in „Platz der Republik Kroatien“ umzubenennen.

Das „größte Symbol der kommunistischen jugoslawischen Herrschaft in Kroatien“ sei „zerstört“, jubelte der rechtsnationale Stadtrat und Ex-Kulturminister Zlatko Hasanbegovic. Tito habe „die Kroaten in den Kampf gegen den Faschismus“ geführt, erinnerte der Sozialdemokrat Rajko Ostojic und bezeichnete die Entscheidung als „unglaublich“.

„Wenn mein Großvater heute Kroatien sehen könnte, würde er selbst das Schild mit seinem Namen von dem Platz entfernen,“ ärgert sich Titos Enkelin Sasa Broz. 37 Jahre nach seinem Tod scheiden sich an dem einstigen Staatslenker in den Nachfolgestaaten seines zerfallenen Vielvölkerreichs die Geister.

In Kroatien und Serbien werfen nationalistische Kritiker, aber auch Historiker dem Partisanenführer die Verantwortung für Massenhinrichtungen und die Liquidation von Tschetnik- und Ustascha-Anhängern zu Ende des Zweiten Weltkriegs vor. Obwohl der sozialistische Autokrat den fragilen Vielvölkerstaat auch mithilfe seines berüchtigten Geheimdiensts zusammenhielt, konnten sich die blockfreien Jugoslawen im Vergleich zu den von der Sowjetunion geführten Staaten des Warschauer Pakts nicht nur der Reisefreiheit, sondern auch eines relativ großen Wohlstands erfreuen: Es sind auch die Schrecken der Jugoslawien-Kriege der 90er-Jahre und der triste Alltag in den Nachfolgestaaten, die heute den Rückblick auf Titos Jugoslawien prägen – und zum Teil auch verklären.

Die Zeiten, in denen ganze Städte nach Tito benannt waren, sind zwar längst vorbei. Doch obwohl beispielsweise in Serbien schon Anfang der 90er-Jahre erste nationalistische Säuberungswellen durch den Straßenschilderwald rollten und Hunderte von Tito-Straßen und -Plätzen umbenannt wurden, ist die Erinnerung an den Lebemann auch nach seiner späten Verbannung aus Zagreb in seinem Ex-Reich keineswegs getilgt. Die meisten Tito-Straßen und Plätze finden sich heute in Mazedonien (24), vor Kroatien (23), Bosnien und Herzegowina (19), Serbien (15) und Slowenien (14). Italien zählt nicht weniger als elf Tito-Straßen. Und selbst in fernen Staaten wie Brasilien, Indien, Russland oder Tunesien dient der legendäre Mitbegründer der Bewegung der blockfreien Staaten noch immer als Straßennamensgeber.

Die florierende Jugostalgie machen sich in fast allen Nachfolgestaaten findige Betreiber von Tito-Retrokneipen zunutze. Ob bei Tito-Bunkertouren in Bosnien oder auf der kroatischen Insel Vis oder bei Tito-Touren in altersschwachen Yugo-Vehikeln durch Belgrad: Der „jugostalgische Tourismus wird zum neuen Trend“, konstatiert die Agentur „Balkan Insight“. Tatsächlich vermeldet das Tito-Grab und das neu konzipierte Museum in Belgrad seit einigen Jahren wieder vermehrten Zulauf: Nicht nur an Titos Geburts- und Todestag erweisen seine Alt- und Neujünger am Sarkophag im Belgrader Haus der Blumen ihrem Idol die Referenz.