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„Kein Mensch bettelt freiwillig“

Seit Monaten beschäftigt die Debatte um den richtigen Umgang mit Bettlern die Dresdner. Gjulner Sejdi, Vorsitzender des Roma-Vereins, spricht über das geplante Verbot und Diskriminierung.

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© René Meinig

Seit Monaten beschäftigt die Debatte um den richtigen Umgang mit Bettlern und vor allem mit Kindern, die auf der Straße um Geld bitten, die Dresdner. Im aktuellen Entwurf zur neuen Polizeiverordnung schlägt die Stadtverwaltung nun ein Verbot des Bettelns von Kindern vor. Darüber muss jetzt der Stadtrat entscheiden, voraussichtlich im November steht das Thema auf der Tagesordnung. Bislang ist nur aggressives Betteln, also mit Ansprechen und Anfassen, sowie der Einsatz von Hunden verboten. Im SZ-Interview spricht Gjulner Sejdi, Vorsitzender des Vereins für Roma-Kulturvermittlung Romano Sumnal e.V., über die Ursachen des Bettelns und mögliche Hilfen für die Familien und Kinder.

Herr Sejdi, aktuell wird über ein Bettelverbot für Kinder debattiert, wie stehen Sie dazu?

Ich halte gar nichts von einem Verbot. Statt so etwas mal eben schnell zu beschließen, sollte lieber nach den Ursachen, warum Menschen betteln, gesucht werden und diese dann bekämpft werden.

Was sind die Ursachen aus Ihrer Sicht?

Kein Mensch bettelt freiwillig, das muss man zunächst klarstellen. Die meisten Familien betteln hier in Deutschland aus Armut.

Was würde den Kindern mehr helfen als ein Verbot?

Ein Besuch von Schule und Kita. Ein Deutschkurs allein reicht nicht, viele können bereits Deutsch, es fehlt an einer Unterstützung durch Kommune und Staat.

Helfen würde ihnen auch, wenn Stadt und Polizei mehr über sie wüssten. Wir würden gern Auskunft dazu geben, wurden aber nicht dazu befragt.

Gilt für die Kinder nicht genauso die Schulpflicht wie für alle anderen Kinder?

Das wäre gut. Doch leider gilt die Schulpflicht nur, wenn die Familien einen festen Wohnort haben. Dafür müssten sie sich anmelden beim Amt, doch das ist schwer.

Warum?

Immer wieder berichten uns die slowakischen Familien von Problemen beim Anmelden auf den Behörden. Sie verstehen die Anträge nicht, sprechen kein Deutsch. Außerdem ist es für die Betroffenen auch sehr schwer, überhaupt eine Wohnung zu bekommen. Ohne festen Wohnsitz gibt es keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung, ein Teufelskreis.

Wo sehen Sie Lösungen für diesen Teufelskreis?

Das Berliner Modell könnte ein Ansatz sein. Hier wird betroffenen Familien ermöglicht, ihre Kinder an einer bestimmten Adresse in der Stadt anzumelden, damit diese in die Schule gehen können. Außerdem werden die Eltern dabei unterstützt, Wohnungen zu finden und das zu beantragen, was ihnen als EU-Bürger zusteht.

Benutzen die slowakischen Eltern ihre Kinder als „Werkzeuge“, wie es ihnen vorgeworfen wird?

Nein, das ist, entgegen allen Vorurteilen, nicht üblich. Die Eltern lieben ihre Kinder, doch sie haben keine Betreuungsmöglichkeit für sie und nehmen sie deshalb mit zum Betteln.

Oft kommt der Vorwurf, das sind organisierte Bettlerbanden, wie stehen Sie dazu?

Das stimmt nicht. Das sind keine Banden, sondern Familienverbände. Einer hilft dem anderen, sie sind zusammen und teilen auch alles Geld untereinander auf.

Die Stadtverwaltung geht von rund 40 Menschen aus der Slowakei aus, die in Dresden betteln, deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Zuerst einmal: Ich gehe nicht davon aus, dass alle Bettler aus der Slowakei kommen, auch aus anderen Ländern wie Rumänien sind welche unterwegs. Und die Zahl 40 erscheint mir auch zu viel, es sind eher weniger. Abgesehen davon, sind auch nicht alle Bettler Roma, und nicht alle Roma sind Bettler, es sind auch andere Osteuropäer unter den bettelnden Menschen.

Sie sagen, nicht alle Roma sind Bettler. Begegnet Ihnen das Vorurteil häufiger?

Ja, es gibt sehr viele Vorurteile über die Roma. Wir seien alle arm und ungebildet. Das stimmt nicht. Es gibt auch viele Mediziner, Ärzte und Anwälte unter uns. Nur haben wir es in unseren Herkunftsländern auch oft sehr schwer.

Ist das einer der Gründe, warum sie nach Deutschland kommen?

Natürlich. Viele kommen hieher auf der Suche nach Glück im Leben und wollen der Diskriminierung entgegen. Zum Beispiel sind auch in den 70er-Jahren viele Roma als Gastarbeiter aus ihren Ländern nach Deutschland gekommen, und auch heute kommen viele beispielsweise aus Osteuropa zum Arbeiten nach Deutschland, diese werden hier aber gar nicht als Roma wahrgenommen. Die Roma haben kein eigenes Land, fühlen sich immer fremd. Kaum einer weiß etwas über sie, dabei leben rund zehn Millionen Roma in Europa. Das will mein Verein ändern.

Was macht Ihr Verein genau?

Wir bieten Beratungen für Sinti und Roma an, begleiten sie zu Ämtern und helfen beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen. Daneben geben wir Seminare, Vorträge und andere Informationsveranstaltungen zum Thema und bemühen uns, die Mehrheitsbevölkerung besser über uns zu informieren.

Sie selbst sind auch ein Roma?

Ja, genau. Ich bin 1991 aus meinem Heimatland Mazedonien wegen der Jugoslawienkriege nach Deutschland geflohen. Ein paar Jahre später bin ich wieder zurück in meine Heimat gegangen und habe dort Jura studiert. Ich bin lange zwischen Skopje und Leipzig gependelt. Jetzt lebe ich schon sehr lange ganz in Leipzig.

Kennen Sie die Diskriminierung der Roma auch?

Ja, ich kenne das aus eigener Erfahrung sehr genau. Auch deswegen kämpfe ich mit meinem Verein für mehr Anerkennung und weniger Vorurteile.

Das Gespräch führte Julia Vollmer.

Am 21. September findet um 18 Uhr eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Nicht Arme sondern Armut bekämpfen“ statt. Ort der Veranstaltung ist der Platz vor dem Maredo an der Ecke Dr.-Külz- Ring/Wallstraße. Auf dem Podium sitzen neben Gjulner Sejdi auch Vertreter der Bettellobby Dresden.