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Karriere auf Amerikanisch

Der große Duft- und Aromahersteller „Bell“ in Leipzig zeigt jungen Leuten, dass nicht nur der gerade Weg zum Erfolg führt.

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© Ronald Bonß

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Nachdem Michael Heinz in Ohio Politikwissenschaft studiert, nachdem er Praktika im US-Kongress, im Senat und bei den Demokraten in Washington absolviert hat, weiß er, was er nicht will: In die Politik gehen. Also sattelt er mit Anfang 20 um, macht seinen Master in Finanzen und Marketing und steigt in das Familienunternehmen ein. Seit Anfang der 90er-Jahre nun führt Michael Heinz, heute 45, zusammen mit seinem Vater Raymond die Geschäfte von „Bell Flavors und Fragrances“ in Leipzig-Miltitz. Das Familienunternehmen entwickelt Düfte, Aromen und Geschmacksstoffe für die Industrie. Inzwischen hat der Betrieb 270 Mitarbeiter und macht 45 Millionen Euro Jahresumsatz. 70 Prozent davon sind Exporte, sie gehen in mehr als 40 Länder der Erde.

Michael Heinz wollte anfangs nur zwei Jahre in Leipzig bleiben. Jetzt sind es mehr als 20, auch seine drei Kinder sind in Sachsen geboren. Der Geschäftsführer erzählt seine Lebensgeschichte, weil sie seiner Sicht der Welt entspricht: „Es gibt viele Chancen, etwas zu gestalten – es muss nicht immer der klassische Weg sein“, sagt er. „Wege führen nicht immer geradeaus, und es ist kein Fehler, seinen Lebensweg zu ändern.“ In Deutschland würden solche Wechsel oft zu verbissen gesehen. Vor einigen Tagen besuchten mehr als 50 Schüler eines Thüringer Gymnasiums die Firma Bell in Miltitz, auch US-Konsul Scott R. Riedmann kam zum Kennenlernen. Und obwohl es ursprünglich nicht so geplant war, ging es an dem Tag vor allem darum: um ungerade Karriereverläufe. „Wir präsentieren uns als internationales Unternehmen und guter Arbeitgeber. Wir zeigen den jungen Leuten ungeahnte Perspektiven auf – und dass man bei der Karriere auch Spaß haben kann“, sagt Heinz. „Wir haben immer wieder Bedarf an neuen Mitarbeitern, weil Kollegen in Rente gehen und wir weiter wachsen.“

Mehrere Bell-Mitarbeiter berichteten daher den Schülern von ihren Berufsbiografien, unter ihnen auch Alexander Pusch, 27, der erst seit einem reichlichen Jahr bei Bell in Leipzig arbeitet. Er entwickelt neue Produkte, Projekte und Rezepturen, besonders im Bereich der Milchwirtschaft – vom Pfefferminz-Eis bis zu Milch-Energie-Shakes.

Doch bis dahin war es ein wechselvoller Weg: Nach dem Realschulabschluss wird Pusch Molkereifachmann in Falkenhain bei Wurzen. Dann wechselt er zu Müller in Leppersdorf und wird Produktentwickler. Mit 22 macht er in Dresden sein Abitur nach, schließlich startet er an der Berufsakademie in Plauen und in einem Unternehmen ein duales Studium. Schwerpunkt: Lebensmittelsicherheit. Nach drei Jahren ist er Diplom-Wirtschaftsingenieur und beginnt im Herbst 2015 bei Bell. „Zur richtigen Berufswahl führen auf jeden Fall persönliche Interessen, spannende Aufgaben und verschiedene Praktika“, empfiehlt Pusch den Abiturienten.

Geschmacks- und Aromastoffe werden seit fast 190 Jahren in Miltitz produziert. 1829 entstand dort die Firma „Schimmel & Co.“, sie gilt als eine Wiege der Duftstoff- und Aromaindustrie. Die Schimmel-Bibliothek mit mehr als 30 000 Nachschlagewerken ist eine der größten Büchersammlungen über Aromen, Öle und Pflanzenextrakte. 1948 wurde das Unternehmen enteignet und verstaatlicht, zu DDR-Zeiten entstanden hier Zusatzstoffe für die Vita Cola und für Florena.

1993 übernahm die Firma Bell mit Stammsitz in Northbrook bei Chicago von der Treuhand den VEB Chemisches Werk Miltitz. Mit zunächst 65 Mitarbeitern begann der Betrieb von vorn. „Wir wollten präsent sein im neuen Europa“, erinnerte sich Firmensenior Raymond Heinz. „Heute sind wir ein fester Bestandteil der Region.“ Tatsächlich ist der 200 000 Quadratmeter große Standort mittlerweile runderneuert. Zwischen großen Edelstahltanks und modernen Mischanlagen stellen Menschen in weißen Schutzanzügen, mit Hauben und Mundschutz Destillate, Konzentrate und Extrakte her. Aus 2 500 verschiedenen Rohstoffen wie Kamille, Pfefferminze oder Cola-Nüssen entstehen Tausende maßgeschneiderte Aromen und Düfte, die Lebensmittel, Parfüms, Kosmetika und Reinigungsmittel ergänzen. Produziert wird im Zwei-Schicht-Betrieb. Neue Entwicklungslabore entstanden, 20 Prozent der Mitarbeiter arbeiten inzwischen dort. Und das Wachstum setzt sich fort.

„Wir investieren gerade zehn Millionen Euro in ein neues Logistikzentrum“, erzählt Michael Heinz. Bereitet ihm dabei der neue US-Präsident Donald Trump Sorgen? Heinz äußert sich diplomatisch. „Wir werden abwarten müssen, wie groß die Veränderung durch Trump tatsächlich wird“, sagt er. „Die USA und Deutschland brauchen den stetigen Austausch miteinander – und das soll auch so bleiben.“