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Kanzlerin der Reserve?

Während Ursula von der Leyen ihr Ministerium ordnet, gehen zwei Bücher der Frage nach, ob sie Merkel folgen könnte.

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© dpa

Von Sven Siebert, Berlin

Es ist ein Ursula-von-der-Leyen-Tag in Berlin. Am Vorabend wurde ein Buch über sie vorgestellt – „Operation Röschen“, heißt es. Am Vormittag ein zweites, dieses mit dem Titel „Kanzlerin der Reserve“. Gleichzeitig hat die Bundesverteidigungsministerin in den Bendlerblock eingeladen, um vor rund 50 Journalisten die Neuordnung des Rüstungsbereichs in ihrem Haus zu erläutern. Und am Abend hält Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig von der SPD eine Rede zum Frauentag, in der sie von der Leyens Beitrag im Kampf um die Frauenquote würdigt.

2003: Ursula von der Leyen hat ihre Familie stets öffentlich präsentiert. Ihr Vater, Ernst Albrecht, hat es vor 40 Jahren schon genauso gemacht.
2003: Ursula von der Leyen hat ihre Familie stets öffentlich präsentiert. Ihr Vater, Ernst Albrecht, hat es vor 40 Jahren schon genauso gemacht. © picture-alliance / dpa/dpaweb
2005: Die Kanzlerinnen-Raute.
2005: Die Kanzlerinnen-Raute. © www.marco-urban.de
2001: Start in der Kommunalpolitik.
2001: Start in der Kommunalpolitik. © picture-alliance / dpa/dpaweb

Mal wieder konzentriert sich alles auf die Frage: Könnte sie Kanzlerin? Will sie es werden? Wird sie es? Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Autoren der beiden Bücher – Elisabeth Niejahr und Peter Dausend mit ihrer „Operation Röschen“, Ulrike Demmer und Daniel Goffart mit der „Kanzlerin der Reserve“ – legen sich klugerweise bei der letzten dieser drei Fragen nicht fest.

Romanhaftes Leben

In beiden Büchern wird unterstellt, die Ministerin habe den Ehrgeiz, das höchste Regierungsamt zu erobern. Ob es klappt? Das hänge von den Verhältnissen ab – 2017 und folgende. Aber natürlich gehört es gewissermaßen zur Geschäftsgrundlage der beiden Buchprojekte, dass eine Kanzlerschaft von der Leyens als durchaus denkbar gilt.

Ursula von der Leyen ist verhältnismäßig spät in die Politik eingestiegen. Sie ist die Tochter des früheren CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht (der sie „Röschen“ nannte). Sie hat sechs Geschwister, sie hat lange studiert – in Göttingen, London und Hannover –, zwei Fächer abgebrochen. Sie hat selber sieben Kinder bekommen und war 44 Jahre alt, als Christian Wulff sie, die bis dahin nur ein bisschen kommunalpolitisch aktiv gewesen war, als Sozialministerin in sein niedersächsisches Kabinett berief.

Dann ging es schnell: Wahl in den CDU-Bundesvorstand, Wechsel nach Berlin als Familienministerin im ersten Kabinett Merkel, Sozialministerin im zweiten. Als Merkel ihr in der dritten Legislaturperiode das Verteidigungsministerium anbot, griff sie beherzt zu. Man kann nicht sagen, dass sie vor Herausforderungen kneift.

Die Biografin Niejahr nennt von der Leyens Leben einen „romanhaften Stoff“ – vor allem wegen ihrer Herkunft, ihrem Versuch, sich vom Vater zu lösen, und der letztendlichen Entscheidung, es genau so zu machen wie er. Die Inszenierung der eigenen Großfamilie, die von der Leyen seit Beginn ihrer Politikerinnenkarriere vornimmt, hat Ernst Albrecht 40 Jahre zuvor praktisch erfunden. Ihr Lächeln ist seines. Wie Albrecht profiliert sich seine Tochter bevorzugt gegen die eigene Partei. So gibt sie sich ein Modernisierer-Image, macht sich aber in der CDU nicht viele Freunde.

So war sie vor allem als Familienministerin bei den Themen Elterngeld und Kinderbetreuung erfolgreich. In der Zeit als Sozialministerin funktionierte das weniger gut. Doch auch da erzwang sie eine Zustimmung ihrer Fraktion zur Frauenquote in Aufsichtsräten, indem sie damit drohte, in dieser Frage mit der Opposition gegen die Linie der eigenen Partei zu stimmen.

Nun ist die 56-jährige Verteidigungsministerin. Und da ist die Sache komplizierter. Von der Leyen hat sich im Laufe des ersten Amtsjahres in die schwierige Materie eingearbeitet. Gestern, in der Pressekonferenz zur Rüstungspolitik, zeigte sie sich gespielt bestürzt darüber, wie leicht ihr all die militärischen Abkürzungen über die Lippen kamen, die ihr noch vor einem Jahr undurchdringlich erschienen waren.

Durchmogeln mit Entschlossenheit

Niejahr sagt, von der Leyen unterscheide sich von Merkel, „weil sie sich was traut“. Doch was traut sie sich als Verteidigungspolitikerin? Bisher macht es den Eindruck, als versuche sie, sich mit großer Entschlossenheit durch ihr schwieriges Amt zu mogeln. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Jahr forderte sie, Deutschland müsse „mehr Verantwortung“ übernehmen. Nur: Was das genau bedeutet, weiß man bis heute nicht.

Unter von der Leyen soll ein neues „Weißbuch“ entworfen werden. Darin formuliert die Bundesregierung alle paar Jahre Auftrag und Ausrichtung der Streitkräfte. Anders als früher soll dieses Weißbuch unter Beteiligung der Öffentlichkeit „in großer Transparenz“ entstehen. Zur Eröffnung dieses Prozesses hielt die Ministerin eine Rede, in der sie kaum Vorgaben für die künftige Ausrichtung machte. Ihre verbindlichste Festlegung lautete, das Weißbuch solle „ein Narrativ entfalten“.

Der Rüstungsbereich hätte ihren Vorgänger, Thomas de Maizière, in der Euro Hawk-Affäre beinahe das Amt gekostet. Das soll von der Leyen nicht passieren. Sie hat eine durchsetzungsstarke und sehr aufgeräumte Staatssekretärin berufen, die sie vor Überraschungen im Dickicht der milliardenschweren Rüstungsprojekte schützen soll. Alles wird nun „transparent“ und, wenn es sein muss, „schmerzhaft“ offengelegt. Aber dient das den Rüstungsprojekten oder nur dem Schutz der Ministerin? Im besten Fall beiden. Bisher ist allerdings noch nicht zu erkennen, ob von der Leyen nur die Übersicht behalten oder auch wirklich etwas Neues auf den Weg bringen will.

Interessant wird es, wenn Ursula von der Leyen 2017 oder kurz danach nicht Kanzlerin wird, sondern Verteidigungsministerin bleibt. Dann muss sie nämlich mit den Folgen des eigenen Handelns – und des eigenen Unterlassens – zurecht kommen.