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Kann Deutschland einfach raus aus der Braunkohle?

Die Vorräte in den Revieren reichen noch für rund 200 Jahre – aber nur theoretisch.

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© André Schulze

Von Tilo Berger

Braunkohle ist das Reizwort dieser Tage. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass sich Befürworter und Gegner des Bodenschatzes mehr oder weniger laut zu Wort melden. Die einen erklären die Kohle langfristig für unverzichtbar und denken dabei sowohl an eine sichere Stromversorgung als auch an Arbeitsplätze und Kaufkraft in den Revieren. Die anderen sehen in dem Energieträger den Hauptschuldigen an Klimawandel und Umweltzerstörung. Die einen warnen vor einem schnellen Ausstieg aus der Braunkohle, die anderen fordern ihn. Die SZ nennt die Fakten zum zweitwichtigsten deutschen Energielieferanten.

Wo liegt die Braunkohle, und wie viel davon wird gefördert?

Braunkohle wird in Deutschland derzeit noch in drei Revieren gefördert: im Rheinland, in der Lausitz und südlich von Leipzig. Bis 2016 war auch noch ein Tagebau bei Helmstedt in Betrieb. Im vergangenen Jahr förderten die Bergleute in allen Revieren zusammen rund 171,5 Millionen Tonnen Kohle. Gut die Hälfte davon wurde im rheinischen Revier abgebaut, etwa ein Drittel in der Lausitz, rund zehn Prozent bei Leipzig und knapp ein Prozent bei Helmstedt. 90 Prozent der geförderten Kohle wurde in Kraftwerken verstromt, etwa jede zehnte Tonne wurde zu Briketts, Kohlestaub und anderen Produkten veredelt.

Im rheinischen Revier sind derzeit drei Tagebaue und fünf Kraftwerke in Betrieb, in der Lausitz vier Tagebaue und drei Kraftwerke sowie bei Leipzig zwei Tagebaue und zwei Kraftwerke. Bis vor Kurzem versorgte der im Leipziger Revier ansässige Kohleförderer Mibrag auch noch ein Kraftwerk im Helmstedter Revier. Dieses befindet sich inzwischen in der nationalen Sicherheitsbereitschaft.

Was trägt die Braunkohle zum Strommix bei?

Nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle mit Sitz in Bergheim bei Köln sicherte der Energieträger im vergangenen Jahr 23,1 Prozent der Stromversorgung in Deutschland. Stärkster Stromlieferant waren 2016 die erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Biomasse; sie trugen insgesamt genau 29 Prozent zum Strommix bei. Auf Platz drei rangierte die Steinkohle mit 17,2 Prozent, gefolgt von Kernenergie (13,1 Prozent) und Erdgas (12,4 Prozent). Mineralöl und andere Energieträger trugen rund fünf Prozent zum Strommix bei.

Welche Rolle kann die Braunkohle in Zukunft noch spielen?

Erneuerbare Energien werden ihren Anteil ausbauen. Ihr Nachteil: Dieser Strom lässt sich (noch) nicht in nennenswerten Größenordnungen speichern, steht also nur zur Verfügung, wenn sich beispielsweise Windräder drehen oder die Sonne scheint. Es können Tausende Windkraftanlagen am Netz sein – bei Flaute liefern sie null Strom.

Ganz vom Netz geht bis 2022 die Kernenergie, so hat es die Bundesregierung beschlossen. Bereits 2018 schließt die letzte Steinkohlezeche im Ruhrgebiet, im Saarland wird seit fünf Jahren keine Kohle mehr gefördert. Schon jetzt verbrennen die Steinkohlekraftwerke in Deutschland vor allem Importkohle, die unter anderem aus Südafrika, Australien und Kolumbien per Schiff nach Europa kommt. Damit auch Züge mit polnischer Steinkohle künftig schneller in Deutschland sind, wird derzeit die Bahnstrecke zwischen dem Grenzbahnhof Horka und Hoyerswerda zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert.

Die Braunkohle-Branche argumentiert, dass ihr Energieträger die Lücke schließen muss, welche die Kernenergie hinterlässt. Außerdem stünde nach dem Aus der deutschen Steinkohle ab 2018 kein weiterer heimischer Energieträger in ausreichender Menge rund um die Uhr zur Verfügung. Widersacher halten dagegen, dass die Stromversorgung schon jetzt auch ohne Braunkohle gewährleistet wäre – durch erneuerbare Quellen und notfalls durch Stromimporte. Fest steht: In den deutschen Revieren lagert noch genug Braunkohle für 200 Jahre – theoretisch. Praktisch endet die Förderung viel früher.

Wie realistisch ist ein schneller Ausstieg aus der Braunkohle?

Die Frage ist: Was heißt schnell? Fast täglich kursieren neue Jahreszahlen. Bis jetzt hat die Bundesregierung keinen verbindlichen Ausstiegstermin genannt. Ende März dieses Jahres stellte die Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) ihr neues Konzept für das Revier vor. Es gibt der Kohle noch eine Perspektive von etwa einem Vierteljahrhundert. Neue Tagebaue und Kraftwerke werden nicht mehr geplant. 2018 und 2019 gehen zwei der sechs Blöcke des Kraftwerkes Jänschwalde in Sicherheitsbereitschaft, also praktisch vom Netz. Die Leag wird ins schrumpfende Revier weniger Geld investieren – dafür verlangen Sachsen und Brandenburg bis 2024 vom Bund einen Ausgleich von mindestens 1,2 Milliarden Euro.

Welche Reaktionen zieht die Debatte um ein Kohle-Aus nach sich?

Dies Diskussion um einen baldmöglichen Kohleausstieg bringt neben politischen Reaktionen auch wirtschaftliche. Eine solche Folge zeigt sich beim Siemens-Konzern: Hier überlegt die Chefetage, Werke zum Bau von Kraftwerksturbinen zu schließen – ein Gedankengang, der vor allem in Görlitz bitter aufstößt. Am Donnerstag will der Siemens-Vorstand den Arbeitnehmervertretern seine konkreten Pläne vorstellen.

Während bei Siemens heute diskutiert wird, bekommen die Bundestagsfraktionen von CDU, CSU, FDP und Bündnisgrünen eine neue Lektüre auf den Tisch. Sie loten derzeit in Berlin die Chancen für eine gemeinsame Bundesregierung aus; zu den strittigsten Themen gehört die Braunkohle. Fünf Lausitzer Landräte und der Oberbürgermeister von Cottbus fordern von der Bundesregierung zusätzliche Hilfen beim Strukturwandel weg von der Kohle. Es geht dabei nicht allein um Geld, sondern zum Beispiel auch um schnellere Planungsverfahren für neue Straßen zwischen Leipzig und Cottbus sowie zwischen dem Raum Bautzen und Cottbus. Vor einem schnellen Kohle-Aus warnt auch Sachsens Noch-Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in einem neuen Brief an die Bundeskanzlerin.