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Kamera light am Marienplatz

Hat sich der Görlitzer OB Deinege falsch ausgedrückt? Seine angekündigte Videoüberwachung ist jedenfalls keine. Keine richtige.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ralph Schermann

Seit der Marienplatz von allen Seiten kameraüberwacht wird, sind Polizeieinsätze selten. Den Görlitzern nützt das jedoch nichts. Denn die Rede ist vom Marienplatz in München. Dort, in der bayerischen Metropole, erfassen Stadtverwaltung, Polizei und Verkehrsbetriebe den öffentlichen Raum mit mehr als 9 200 Überwachungskameras – und haben dadurch ein neues Problem: Schon fehlen die Möglichkeiten, all das Bildmaterial zeitnah auszuwerten.

Von solchen Sorgen ist Görlitz weit entfernt, denn hier steckt die öffentliche Kameraüberwachung noch in den Kinderschuhen, und zwar so tief, dass sich nicht mal der Oberbürgermeister darin auskennt. „Wir werden den Marienplatz ab Ende August aus mehreren Richtungen per Video überwachen“, sagte Siegfried Deinege am 11. August im Interview. Genau das aber stimmt nicht, und sein Sprecher Wulf Stibenz glättet des OBs Aussage: „Die Stadt Görlitz betreibt keine Einrichtungen zur Videoüberwachung im Sinn des Sächsischen Datenschutzgesetzes. Es ist auch nicht geplant, eine solche Videoüberwachung einzuführen.“

Was aber hat der OB dann gemeint? Ganz einfach: Webcams, und die sind nicht neu. Schon 2004 wurden solche Kameras an wechselnden Standorten eingerichtet. Diese Geräte liefern lediglich Übersichtsaufnahmen, ohne dass Personen konkret erkennbar sind. Sie dienen der Präsentation, was sich jeder per Internet anschauen kann (www.goerlitz.de), aber auch der Verkehrsraumbeobachtung. Holger Kloß, Leiter des Vollzugsdienstes im Görlitzer Ordnungsamt, erklärt: „Die von Webcams gelieferten Bilder ermöglichen es dem Ordnungsamt, einzuschätzen, ob eine Nachschau vor Ort erforderlich ist, weil es Verkehrsballungen, blockierte Feuerwehrzufahrten oder größere Ansammlungen von Personengruppen gibt.“

Nach einem Jahrzehnt ihres Betriebes auf Dickem Turm und Kaufhaus war die Technik verschlissen und wurde abgeschaltet. Bei der Aussage des Oberbürgermeisters handelt es sich also gar nicht um eine Reaktion auf die Zunahme von Störungen auf dem Marienplatz, sondern schlicht und einfach um eine „Wiederinbetriebnahme unter denselben Prämissen“, wie Wulf Stibenz betont. Diesmal allerdings kommt die neueste Technik zum Einsatz, und das Rathaus spricht von einer „intensiven Abstimmung zwischen Ordnungsamt und dem parallel zugeschalteten Polizeirevier, sollte es zu ungewöhnlichen Situationen kommen“. Dann sei auch die Polizei in drei Minuten da, versichert OB Deinege.

Genau dafür aber bedarf es gar keiner Kameras. Zu solchen Einsatzzeiten bestätigt der Leiter des Görlitzer Polizeireviers, Dirk Linczmajer, auf entsprechende Nachfrage: „Bei jedem Notruf waren wir mit unseren Streifen bisher immer sehr schnell auf dem Marienplatz.“ Allgemein zugängliche Webcam-Bilder sind auch gar nicht gesondert im Revier aufgeschaltet.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel ist sogar bei den drei Minuten skeptisch: „Wenn es der Polizei tatsächlich gelingen sollte, so schnell vor Ort zu sein, wenn sie per Kamera eine Straftat beobachtet, wäre das fantastisch und könnte jene Abschreckung bedeuten, die mit Kameras erreicht werden soll.“ Tatsächlich gibt es wissenschaftliche Studien, die belegen, dass dort, wo Videotechnik arbeitet, Straftaten im Durchschnitt um rund 20 Prozent zurückgehen. „Den Bereich der Ordnungswidrigkeiten muss man aber anders angehen“, betont Wippel: Kameras dürfen keine Streifen vor Ort ersetzen, die Präsenz der Polizei müsse das A und O bleiben. Da aber viele Straftäter über die Grenze verschwinden, wären gerade dort Kameras wichtig. „Da sollten wir den Kriminellen schon deutlich zeigen, dass wir sie im Blick haben“, sagt Wippel und fordert schon lange videoüberwachte Grenzkontrollen, weil „gerade um Görlitz organisierte Banden agieren“. Wippel steht damit nicht allein. Seit Jahren setzt sich die CDU für Videokameras an öffentlichen Plätzen und Verkehrsknoten ein, erst recht an den Grenzbrücken. Landtagsabgeordneter Octavian Ursu ist deshalb permanent „mit der Landes- und Bundespolizei im Gespräch“, sagt er. Ein „entsprechendes Pilotprojekt ist auf Grundlage umfangreicher Recherchen der Görlitzer Polizeidirektion möglich und soll demnächst in die Tat umgesetzt werden.“ Im Gespräch ist zu diesem von Octavian Ursu schon länger formulierten Projekt als Kamera-Test die Grenzbrücke von Hagenwerder. Offiziell indes gibt es dazu keine Hinweise. „Wir wissen nichts von einer solchen Überwachung, auch nicht als Test“, sagt der Sprecher der Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf, Michael Engler. Gesetzlich möglich sei Videoüberwachung ohnehin nur nach richterlichem Beschluss in konkreten Ermittlungsverfahren. Auch Dirk Linczmajer bestätigt auf Nachfrage, dass es eine rein vorbeugende polizeiliche Videoüberwachung im Revier nicht gibt.

Anders verhält es sich bei Privateigentümern mit öffentlichem Zugang. In Straßenbahnen und an Tankstellen, in Parkhäusern und Kaufhallen ist längst nicht nur ein Webcam-Überblick, sondern die Videoaufzeichnung üblich, auf die bei Vorfällen zurückgegriffen werden kann. Auch an privaten Wohngrundstücken sieht man immer mehr solche Anlagen. Und problemlos auch am Marienplatz. In München.