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Kahlschlag im Spitzgrund

An der Siedlerstraße sind Bäume und Sträucher verschwunden. Naturschützer fragen, ob das genehmigt war. Anwohner wollen wissen, was hier entstehen soll.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Das ist schon merkwürdig, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sich aber am Telefon wundert, dass in seinem Wohngebiet im Spitzgrund plötzlich auf einer bisher wilden Fläche alle Bäume und Sträucher gerodet sind. Der Boden sei glatt gemacht. Ob die SZ weiß, was da entsteht?

Auch die Coswiger Stadträte Cornelia Obst (CBL) und Thomas Werner-Neubauer (Grüne) sind verwundert oder eher entsetzt, was sie da an der Siedlerstraße, Ecke An der Lockwitz sehen. Darüber, dass über 20 Bäume und Großsträucher verschwunden sind. Darunter große Bäume mit Höhlungen, in denen erfahrungsgemäß fast immer auch geschützte Tierarten zu finden seien, schreiben sie.

Mindestens zwei Totholzbäume seien dabei gewesen, in denen sehr oft streng geschützte Tierarten wie Juchtenkäfer und Fledermäuse Lebensraum finden, heißt es in ihrer Pressemitteilung zur illegalen Abholzung. Darin informieren sie auch, dass kurz vor Weihnachten der gesamte Baum- und Strauchbestand – selbst in den Randbereichen – bis auf drei Fliedersträucher gefällt, die Grasnarbe abgetragen, alle Stubben gerodet wurden. Von einer großen Birke mit mehr als einem Meter Stammumfang direkt an der Straße An der Lockwitz ist nur noch der Stubben übrig, stellten die Stadträte bei einer Ortsbesichtigung am 27. Dezember fest. Nicht nur dieser Baum hätte einer eventuell geplanten Bebauung nicht im Wege gestanden, erklären sie.

Mindestens zwei der Bäume seien auf unbebauten Grundstücken nach der Gehölzschutzsatzung der Stadt Coswig geschützt gewesen, Fällgenehmigungen dafür weder beantragt noch erteilt worden. Beide Stadträte machen außerdem darauf aufmerksam, dass aus Artenschutzgründen Untersuchungsbedarf bestand. Sie halten es für durchaus wahrscheinlich, dass streng geschützte Arten in Winterruhe mit in den Schredder kamen. Noch dazu handele es sich wegen der Großflächigkeit um einen ungenehmigten Eingriff nach Paragraf 14 des Bundesnaturschutzgesetzes.

Für Cornelia Obst und Thomas Werner-Neubauer zeigt sich an diesem Beispiel eine der vielen Widersinnigkeiten des 2010 auf Betreiben der FDP durchgesetzten „Baum-ab-Gesetzes“. So hätten nach der bis dahin geltenden Satzung alle gefällten Bäume einen Schutzstatus gehabt. Doch weil die beiden großen Flurstücke im Randbereich mit Gebäuden bebaut sind, entfalle dieser Schutz für alle Birken, Nadel- und Obstbäume sowie Bäume unter einem Meter Stammumfang.

Zwei Nadelbäume auf nicht bebauten Flurstücken an der Siedlerstraße seien allerdings nach Gehölzschutzsatzung illegal gefällt worden. Und: Wäre die große Birke zwei Meter weiter nördlich auf dem unbebauten Straßenflurstück gewachsen, hätte sie Glück gehabt. Cornelia Obst und Thomas Werner-Neubauer bedauern, dass die CDU-SPD-Koalition im Landtag es bisher nicht geschafft hat, diese bundesweit einmalige Rechtslage in Sachsen zu bereinigen. „Die Wohnungsgenossenschaft Coswig eG – nach unserer Kenntnis Eigentümerin des Areals – hat unter Verletzung geltenden Rechts in Wild-West-Manier Tatsachen geschaffen“, erklären Cornelia Obst und Thomas Werner-Neubauer. Weder Fällgenehmigungen für die gerodeten Bäume, geschweige denn ein Artenschutzgutachten würden vorliegen.

Dass Anwohner von dem Geschehen überrascht wurden und Informationen darüber vermissen, was hier passieren soll, stellten auch die beiden Stadträte fest. Eine Mutter habe darauf getippt, dass hier ein großer Spielplatz entstehen könnte, und gemeint: „Das wäre mal schön!“

Auf SZ-Nachfrage zu diesem Thema bei der Wohnungsgenossenschaft (WGC) per Mail und Telefon gab es keine Auskünfte, auch eine Nachfrage im Rathaus brachte nichts Neues. OB Frank Neupold (parteilos) erklärte, dazu könne er nichts sagen.

Weil es nicht nur um 20 Bäume und verschiedene Kleintiere gehe, sondern auch um die Einhaltung von Gesetzen und Bestimmungen, die zum Erhalt einer lebenswerten Umwelt beitragen, wollen Cornelia Obst und Thomas Werner-Neubauer auf jeden Fall an dem Thema dranbleiben.

„Was die Wohnungsgenossenschaft hier an den Tag legt, ist nicht nur eine unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber Natur und Umwelt, sondern auch gegenüber allen Bürgern, die glauben, im Rechtsstaat zu leben. Selbstredend und gerade auch gegenüber ihren eigenen Mitgliedern, von denen sich die WGC am Ende finanziert und die nun auch das Bußgeld, die Ersatzpflanzungen und den naturschutzrechtlichen Ausgleich zu finanzieren haben“, heißt es von den beiden Stadträten. Und dass sie sich dafür einsetzen wollen, dass Stadtverwaltung und Landratsamt die gesetzlichen Möglichkeiten der Ahndung des illegalen Vorgehens im vollen Umfang ausschöpfen.