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Justizposse um einen Samuraikämpfer

Das Urteil gegen den Coswiger erschien der Staatsanwaltschaft zu gering. Sie legte Berufung ein. Doch plötzlich zog sie die zurück.

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Von Jürgen Müller

Dass Angeklagte mehrfach vor Gericht erscheinen, weil sie immer wieder Straftaten begehen, kommt des Öfteren vor. Dass ein- und derselbe Fall jedoch viermal Gerichte beschäftigt, ist eher die Ausnahme. Hier war es aber so.

Dem 37-jährigen Angeklagten, der aus Kasachstan stammt, wurde vorgeworfen, sich an einem Juniabend vor nun schon fast zwei Jahren an der Kötitzer Straße in Coswig in einen Streit zwischen Kindern eingemischt, einen elfjährigen Jungen geschlagen, an der Hand erfasst und dessen Arm nach hinten gedreht zu haben. Der Junge konnte sich losreißen, flüchtete in Panik mit dem Fahrrad. Dabei stieß das Kind gegen ein langsam fahrendes Auto. Danach soll der Angeklagte in einem Hauseingang den Vater des Jungen „zur Rede gestellt“ haben. Weil er kaum Deutsch spricht, will er dem Vater des Kindes mit Grashalmen demonstriert haben, wie die beiden Kinder gefochten haben. Doch der Vater versteht nicht, was der Mann von ihm will. Der kommt mit zwei Samuraischwertern an, drückt dem Vater eines in die Hand und fordert ihn auf: „Nimm, wir kämpfen jetzt bis zum Tod.“

Bewährungswiderruf drohte

Wegen Bedrohung und Körperverletzung musste er sich vor dem Meißner Amtsgericht verantworten. Der erste Termin platzte, weil der Pflichtverteidiger kurzfristig ausfiel. Zwar wollte die Richterin das Verfahren plötzlich ohne Verteidiger führen, doch der Angeklagte willigte nicht ein. Bei einem neuen Termin am 3. Juni vorigen Jahres kam es dann zur Verhandlung. Doch der Angeklagte wurde nur wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1 000 Euro verurteilt. Eine Bedrohung konnte die Richterin nicht erkennen, sprach ihn in diesem Anklagepunkt frei. Staatsanwältin Sabine Greiffenberg sah das anders. Sie hatte für die Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, für die Bedrohung zwei Monate Haft gefordert. Im Gegensatz zu Richterin Ute Wehner sah sie auch eine Bedrohung, hatte auf eine unbedingte Haftstrafe für den einschlägig vorbestraften und unter Bewährung stehenden Angeklagten plädiert. Durch das milde Urteil entging der Angeklagte auch dem Widerruf einer laufenden Bewährungsstrafe.

Die Staatsanwaltschaft griff das Urteil an, ging in Berufung. „Die ausgesprochene Strafe wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht“, heißt es in der Begründung. Doch auch der Berufungstermin vor dem Landgericht Dresden platzte im September vorigen Jahres. Das Gericht hatte weder Zeugen noch Dolmetscherin geladen, weil es davon ausging, dass die Staatsanwaltschaft nur mit der Höhe der Strafe nicht einverstanden war. Doch die damalige Staatsanwältin Petra Heinze wollte nicht nur eine höhere Strafe für die Körperverletzung, sondern auch einer Verurteilung wegen der Bedrohung. Vergangenen Freitag traf man sich nun erneut vor dem Landgericht in Dresden, insgesamt zum vierten Mal in dieser Sache. Diesmal waren alle da – fast alle. Doch einer fehlt fast immer. Jetzt ist es ein Schöffe. Der ist auch nicht aufzutreiben. „Es ist das erste Mal in meinem Richterleben, dass ein Schöffe nicht zu erreichen ist“, stellt der Vorsitzende Richter Peter Frey fest.

Doch schon im Vorfeld hatte die Staatsanwältin – diesmal ist es Birgit Zuber – überraschend angekündigt, ihre Berufung beziehe sich nur auf die Höhe der Strafe wegen der Körperverletzung. Den Freispruch wegen der Bedrohung wolle sie nicht angreifen. Aber es kommt noch besser. Offenbar, weil sie allen Beteiligten einen fünften Auftritt vor Gericht in dieser Sache ersparen will, zieht die Staatsanwältin ihre Berufung ganz zurück. So bleibt es bei der Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je zehn Euro, insgesamt also 1 000 Euro. Außer Spesen nichts gewesen.

Der Richter macht dem Angeklagten deutlich, dass er mit diesem Urteil auch angesichts seines langen Vorstrafenregisters mehr als gut bedient ist. „Ein Kind schlagen geht gar nicht“, so Richter Frey. Es ist nicht das erste Mal, dass der Kasache vor Gericht steht. Mehrfach wurde er schon verurteilt. Mit einem Samuraischwert hatte er früher schon mal jemanden bedroht. Erst im November 2013 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Dort saß er 70 Tage, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte.

Schon wieder straffällig

Das droht ihm jetzt allerdings wieder, denn offenbar wusste der Mann, der auch nach vielen Jahren Aufenthalt in Deutschland kaum Deutsch spricht, die außerordentliche Milde der Meißner Richterin nicht zu schätzen. Nach dem Urteil wurde er wieder straffällig, beging Diebstähle. Dafür wurde er per Strafbefehl zu einer weiteren Geldstrafe von 700 Euro verurteilt. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Kann er beide Geldstrafen nicht bezahlen, muss er für 170 Tage ins Gefängnis und sie „absitzen.“