Merken

Junger Mann lässt Zug entgleisen

Der Görlitzer Bahnunfall ist aufgeklärt: Ein 16-Jähriger spielte Triebwagenführer – und richtete erheblichen Schaden an.

Teilen
Folgen
NEU!
© Danilo Dittrich

Von Ralph Schermann

Görlitz. Gleich zwei Erfolgsmeldungen sind es am Ende der Ermittlungen zur Zugentgleisung von voriger Woche: Erstens kamen Bundespolizei, Staatsanwaltschaft und Länderbahn dem Verursacher schnell auf die Spur. Zweitens haben die Sicherheitssysteme der Deutschen Bahn AG ihre Wirksamkeit gut unter Beweis gestellt.

Der Vorfall ereignete sich am Freitagnachmittag. Eine zunächst unbekannte Person verschaffte sich Zugang zur Abstellfläche der Eisenbahnen an der Görlitzer Sattigstraße. Dort enterte sie den Führerstand eines Triebwagens vom Typ Desiro classic der Länderbahn (Trilex). Die Person schaffte es zudem, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Nach Informationen von Passanten soll der Triebwagen mehrmals kurze Stücke hin- und hergefahren sein. Dann aber näherte er sich nach rund 300 Metern Strecke dem Ende des Abstellgeländes – und entgleiste. Denn die Gleissperre oberhalb des Jakobstunnels funktionierte. Dabei handelt es sich um eine Art schweren Bremsklotz, der nach dem Abstellen von Fahrzeugen von der DB-Netz- Leitstelle aus ferngesteuert über die Schienen gelegt wird. Das sichert bei eventuellem Bremsversagen den Schienenweg, ist aber auch wirkungsvoll bei unbefugten Fahrten. Nur bei Zugfreigaben wird so eine Blockierung von Ausfahrten dann wieder elektronisch neben die Gleise zurückgesetzt. Länderbahn-Sprecher Jörg Puchmüller betont: „Zu keiner Zeit bestand aber eine Gefahr für unbeteiligte Personen.

Die Ermittlungen leitet die Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf als für die Bahnsicherheit zuständige Behörde. Zwar war der illegale Fahrer nach der Entgleisung geflüchtet, doch das Fahrzeug war freilich noch da. „Es ging also von Beginn der Untersuchung an weder um Diebstahl oder um das Kapern eines Zuges“, kritisiert Bundespolizeisprecher Michael Engler manche Medien: „Wir ermitteln wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr.“ Das ist eine Straftat, für die das Gesetz in minder schweren Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsieht. Im jüngsten Görlitzer Fall wird es indes eher bei Arbeits- oder Geldauflagen, möglicherweise auch um Freizeitarrest gehen – denn es wird nach dem Jugendgerichtsgesetz bestraft werden: Der Täter ist erst 16 Jahre alt.

Der junge Deutsche aus Görlitz kam schnell in das Visier der Ermittler. Noch am Abend der Tat soll er zu jenen Personen gehört haben, die in ersten Umfeldnachforschungen des Ludwigsdorfer Ermittlungsdienstes nahe dem Bahnhof sowie in der Bahnhofshalle kontrolliert wurden. Auch stützte sich die Polizei auf Hinweise, die zuvor von Fahrgästen an die Länderbahn gegeben worden waren. Danach sei immer wieder ein junger Mann aufgefallen, der durch zur Fahrt bereitgestellte Züge ging und Führerstände mit einem Schlüssel öffnete. Einmal sei er auf Bekannte getroffen, die ihn verwundert ansprachen. „Na ja, ich arbeite doch jetzt hier“, soll er gesagt und sich dann schnell aus dem Staub gemacht haben. Auch fiel Reisenden auf, dass am Bahnsteig ein Jugendlicher in Odeg-Weste Trilex-Züge genau betrachtete, als ob er irgend etwas ausspionieren wollte – zum Beispiel jene Zeiten, in denen Triebfahrzeugführer vor Abfahrt eines Zuges an anderen Stellen des Bahnhofs weilen müssen.

„Die Länderbahn unterstützte uns mit allen Kräften“, berichtet Polizeisprecher Engler. Im Rahmen der Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Bundespolizei hat der Jugendliche die Tat am Dienstag gestanden. „Offenbar lagen zur Ausübung seines Tuns hinreichende Kenntnisse vor, der junge Mann hat wohl lebhaftes technisches Interesse“, informiert Staatsanwalt Till Neumann, will sich über weitere Details aber noch nicht äußern. Auch gibt es zurzeit noch keine Darstellungen dazu, wie der Tatverdächtige konkret den Wagen öffnete und startete. Alle vorhandenen Spezialschlüssel dafür befanden sich jedenfalls zum Zeitpunkt der Tat an ihren Orten.

Länderbahn-Geschäftsführer Andreas Trillmich reagiert erfreut auf den Fahndungserfolg: „Wir sind erleichtert, dass diese Tat von den Ermittlungsbehörden schnell aufgeklärt werden konnte. Ich möchte der Staatsanwaltschaft Görlitz und der Bundespolizei ganz herzlich für die hervorragende Arbeit danken.“

Unterdessen hat bereits am Tatabend die Länderbahn ihre bereits bestehenden Sicherheitsmaßnahmen auf dem Görlitzer Bahngelände deutlich verstärkt. „Über die üblichen Maßnahmen hinaus haben wir die Abstellanlagen mit zusätzlichem Personal rund um die Uhr bewachen lassen“, berichtet Puchmüller. Jetzt werde geprüft, ob und welche Sicherheitsvorkehrungen dauerhaft als Reaktion auf den Vorfall abgeleitet werden, so der Bahnsprecher.

Der betroffene entgleiste Desiro-Triebwagen befindet sich weiterhin in der Werkstatt. Er ist offenbar durch die Entgleisung stärker beschädigt als zunächst angenommen. Jörg Puchmüller spricht von einem „Schaden in fünfstelliger Euro-Höhe“. Das klingt plausibel, denn allein ein Desiro-Drehgestell soll schon um die 30 000 Euro kosten, sagen Insider. Unabhängig von der Verurteilung nach dem Jugendgerichtsgesetz wird sich der eisenbahnversessene Jugendliche also durchaus auf hohe und für ihn noch lange nachwirkende Schadensersatzforderungen einstellen müssen.

Der Beitrag wurde am 14.12.2017, 19.07 Uhr, zuletzt aktualisiert.