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Junge Mediziner proben den Ernstfall

Bombenanschlag, Zugunglück, Meteoriteneinschlag. Warum sich Dresden auf eine Katastrophe vorbereitet.

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© Sven Ellger

Von Jana Mundus

Das Stadtmuseum ist zerstört. Feuer dringt aus dem großen Gebäude an der Wilsdruffer Straße. Verletzte strömen aus dem Inneren ins Freie. Die ersten Rettungskräfte treffen ein. Benjamin Lauterwald ist der erste Notarzt vor Ort und muss die Lage erst einmal überblicken. Nach einigen Minuten steht fest: Zwölf Personen brauchen dringend medizinische Hilfe. Er schildert die Situation über Funk der zuständigen Einsatzleitung. Da geht in der Rettungsleitstelle schon wieder ein Notruf ein. Eine zweite Explosion hat den Hauptbahnhof erschüttert ...

Glücklicherweise ist gestern nichts von alledem echt. Es ist eine Simulation. Ein Spiel, in dem 24 angehende Ärzte lernen sollen, wie sie im Katastrophenfall richtig reagieren. Wie sich die Retter organisieren müssen, damit möglichst viele Verletzte schnell geborgen und versorgt werden können. Seit den Sprengstoffanschlägen am Montagabend in Dresden ist vielen der Studenten jedoch eines noch bewusster geworden: Als Arzt ist es wichtig, auch auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein.

Das sagt auch Professor Axel R. Heller, Leiter des interdisziplinären Simulationszentrums für Medizin an der TU Dresden. Er beschäftigt sich schon seit Jahren mit Notfall- und Katastrophenmedizin und hat nun das neue Wahlfach an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus mit auf den Weg gebracht. Es soll die katastrophenmedizinische Ausbildung verbessern. Mit Blick auf die weltweiten Terroranschläge der vergangenen Monate sei das auch immens wichtig.

Paris hat alles verändert

Bei der Übung des Ernstfalls gestern sind allerdings keine Bomben Grund für die Katastrophe. Mit einem Beamer wird eine Ansicht der Dresdner Innenstadt an die Wand im Simulationszentrum projiziert. Große Feuerbälle fallen darauf vom Himmel. Es sind Meteoriten, die in Dresden einschlagen. Im Stadtmuseum, im Hauptbahnhof, am Straßburger Platz und am Lennéplatz. Nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Immer mit einigen Minuten Abstand zueinander. Vielleicht utopisch. Ein bisschen aber auch nah an der Realität. „Das bringt die Studenten nämlich während der Übung in eine Situation, die dem Szenario bei den Paris-Anschlägen ähnelt“, erklärt Heller weiter. Dort hatten Attentäter im November 2015 an mehreren Orten der Stadt Menschen verletzt oder getötet. Die Rettungskräfte müssen heutzutage auch auf solche Bedrohungslagen vorbereitet sein.

Die angeblichen Verletzten liegen gestern nicht wild in den Räumen des Simulationszentrums herum. Kleine Karten symbolisieren sie. Darauf ist zu lesen, wo genau die Personen verletzt sind. Immer mehr Studenten kommen jetzt zur Übung dazu. Sie sind Rettungskräfte, die nacheinander angefordert werden. Wichtige Fragen müssen geklärt werden: Wo zum Beispiel wird eine zentrale Stelle für die Rettungs- und Krankenwagen eingerichtet? Im Raum für das Stadtmuseum ist die Lage bereits weitgehend unter Kontrolle. Die ersten Verwundeten werden abtransportiert und auf die Dresdner Krankenhäuser verteilt.

Was die Studenten nun simulieren, dafür hat ihr Professor für die Wirklichkeit bereits vorgesorgt. In Dresden kümmert sich Axel R. Heller mit um die medizinischen Planungen für den Ernstfall. Welches Krankenhaus kann wie viele Patienten im Notfall sofort aufnehmen? „Dieser Plan wird jedes Jahr aktualisiert“, erklärt er. Mit den verschiedenen Einsatzkräften in der Stadt finden darüber hinaus regelmäßig Übungen statt. Heller ist überzeugt: Dresden ist auf Notfälle gut vorbereitet. „Das, was wir international in den vergangenen Monaten an schlimmen Ereignissen gesehen haben, all das hätten wir hier in Dresden gut handhaben können.“

Das Problem mit der Verteilung

Die Übung für die Studenten geht weiter. Im Zimmer, das den Hauptbahnhof darstellt, liegen die meisten Verletzten. „Bis zu 30 könnten es hier sein“, sagt eine Studentin zu ihren Kommilitonen, die als Rettungskräfte versuchen, die Situation zu klären. „Mehrere Einsatzorte können im Katastrophenfall zum Problem werden“, schildert Heller. Anfangs gibt es oft zu wenig Einsatzkräfte. Später sind davon zwar genug da, doch deren Verteilung hakt. Es wäre gut, wenn die Studenten genau solche Probleme während einer Übung selbst erleben. „Wenn sie gut vorbereitet sind, agieren sie im Ernstfall einfach viel besser.“ Das rettet am Ende Leben.