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Juden in Deutschland verunsichert

Nicht nur durch die Terrorattacken in Paris oder Brüssel fühlen sich Europas Juden verunsichert. Der Antisemitismus sei in der Mitte angekommen, sagen mehrere Organisationen.

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© dpa

Berlin. Ob bei der Diskussion über die Beschneidung von Jungen oder den pro-palästinensischen Demonstrationen mit antisemitischen Ausfällen - Juden in Deutschland fühlen sich zunehmend verunsichert. Im Kampf gegen Antisemitismus würden die Sicht und Empfindungen der 120 000 in der Bundesrepublik lebenden Juden zu wenig wahrgenommen, erklärten mehrere Organisationen am Donnerstag in Berlin.

Das Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum, die Amadeu Antonio Stiftung und das American Jewish Committee wollen sich nun gemeinsam gegen „das Erstarken des Antisemitismus in verschiedenen Formen“ einsetzen und die Ursachen dafür untersuchen, hieß es bei der Gründungskonferenz des Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus (NEBA). Nach der jüngsten Kriminalstatistik ist die Zahl der antisemitischen Straftaten in Deutschland im vergangenen Jahr um 25 Prozent gestiegen.

Komplexe Welt wird mit antisemitischen Mythen erklärt

In der überzogenen Kritik an Israel, der Darstellung der Juden als „gierige Kapitalisten“ oder in Verschwörungstheorien - antijüdische Vorurteile seien mittlerweile hoffähig, sagte Anetta Kahane von der Antonio-Stiftung. Diese Entwicklung werde von Forschung und Politik zu wenig wahrgenommen. Immer öfter würden Probleme der Welt, etwa durch die Globalisierung, mit antisemitischen Mythen erklärt.

Der Historiker Julius H. Schoeps (Potsdam) sieht eine wachsende Judenfeindschaft aus der Mitte der Gesellschaft. Die bisherigen Mittel dagegen seien „hoffnungslos unterentwickelt“.

Von einem Riss zwischen offen antisemitischen Rechtsradikalen und Populisten sprach der Wissenschaftler und Publizist Micha Brumlik. So äußere der niederländische Islamkritiker Geert Wilders immer wieder seine Sympathien für Israel, auf Pegida-Demonstrationen werde die Flagge Israels geschwenkt. Diese Entwicklung mache ihn „sehr nervös“.

Die amerikanische Holocaust-Forscherin Deborah E. Lipstadt (Emory Universität) beschrieb auf der Konferenz den modernen Antisemitismus als „dehnbare Form von Hass“. So werde der millionenfache Mord an den Juden trivialisiert, etwa in der Beschreibung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern mit Begriffen wie „Nazi-Methoden“ oder „Genozid“. Lipstadt hatte im Jahr 2000 einen aufsehenerregenden Prozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving gewonnen. (dpa)