Von Mareike Huisinga
Pirna. Die Tulpen leuchten so rot und gelb im Sonnenschein, dass sie fast blenden. Gleich daneben wächst eine große Birne, die weiß blüht. Der Duft? Betörend! Das muss auch die dicke Hummel so empfinden, die surrend herumschwirrt. Dazu gesellt sich ein Zitronenfalter. Von dieser perfekten Gartenidylle bemerkt Jens Kocka im Moment allerdings nichts. Er gießt gerade die Erde, die er zuvor mühevoll umgegraben hat. Gleich will er die Speisezwiebeln stecken.
Die Mitglieder des Kleingartenvereins Fortschritt an der Siegfried-Rädel-Straße in Pirna haben derzeit viel zu tun, denn die Saison ist gestartet. Das Freiland muss für die Aussaat von Bohnen und Kohlrabi vorbereitet werden. Jens Kocka macht da keine Ausnahme. Vor drei Jahren pachtete er den Garten und wurde erst vor Kurzem zum Vereinsvorsitzenden gewählt. Zur Sparte Fortschritt gehören 40 Gärten, die von 66 Mitgliedern beackert werden. „Wir sind gut über den Winter gekommen“, freut sich Kocka. Dem stimmt sein Gartenfreund Rudolf Scherzer zu. „Es gab keine Einbrüche in den Gärten und Lauben“, bestätigt er. Das liegt vermutlich auch an dem Standort. Denn die Kleingartenanlage befindet sich unmittelbar gegenüber vom Parkplatz dem Obi-Baumarkt, der beleuchtet ist. „So ist es abends immer lange hell, was für die Diebe abschreckend wirkt“, erklärt Scherzer. Außerdem machen die Kleingärtner in den kalten Monaten regelmäßige Kontrollgänge und leisten somit aktiven Einbruchschutz. Weniger gut ist es in Sachen Sturm gelaufen. Das Tief Friederike richtetet im Januar allerlei Schäden in der Sparte an. Unter anderem wurden Dächer abgedeckt und Scheiben einiger Gewächshäuser zerschlagen. „Aber mittlerweile sind die Schäden größtenteils behoben. Die Versicherung hat gezahlt“, erklärt Jens Kocka.
Für diese Saison und die folgenden Jahre haben sich die Fortschrittler einen großen Plan gemacht. Sie wollen das Vereinsheim am Eingang der Anlage auf Vordermann bringen, um es künftig als Treffpunkt und für interne Vereinszwecke zu nutzen. Bis vor vier Jahren schenkte hier noch Pächterin Erika helles und dunkles Bier aus. Dann ging sie in Rente, was viele bedauerten. Seitdem wird das Gebäude nicht mehr genutzt.
Gartentipps im April
Jetzt werden die Gärtner unter anderem die Küche erneuern und den Innenraum sanieren – alles in Eigenleistung. Sponsoren für dieses Projekt sind herzlich willkommen, betont der Vereinsvorsitzende. Dann schweift sein Blick in Richtung Westen. Dort befindet sich eine Besonderheit: Auf dem Gelände steht ein großes Stahlbeton-Skelett, das von dem Pächter immer nur als Ruine bezeichnet wird. Treffend! Konkret handelt es sich dabei um eine Gasanlage, die niemals in Betrieb genommen wurde. Sie gehörte zum ehemaligen Stahlwerk Pirna, das sich an der Dresdner Straße befand. Errichtet wurde der Rohbau vermutlich zwischen 1942 und 1945, da das Stahlwerk auch Rüstungsproduktion betrieb. In der Decke des Gebäudes prangen große kreisrunde Löcher, durch die man in den Himmel gucken kann. Der Betonklotz wirkt wie ein Hochbunker.
Trotzdem bleiben die Vereinsmitglieder bei diesem Thema locker. „Wir haben uns mit der Zeit an den Anblick gewöhnt; und im Sommer ist das überwachsene Gebäude ohnehin vollkommen begrünt“, sagt Rudolf Scherzer. Die Stadt Pirna plant, die Ruine abzureißen, allerdings liegt dafür noch kein konkreter Zeitplan vor, sagt Stadtsprecher Thomas Gockel auf SZ-Anfrage. Blick nach Osten. Die Kleingärten grenzen hier direkt an das Gelände der Sandsteinwerke GmbH. Das Unternehmen zog Anfang 2016 nach Rottwerndorf. Als unmittelbare Nachbarn fragen sich die Kleingärtner natürlich, was hier künftig geplant ist. Informationen dazu hat Kristin Schröder, Geschäftsführerin der SSW Vermögensverwaltungsgesellschaft, zu der als Tochtergesellschaft die Sächsische Sandsteinwerke GmbH gehört. Geplant sei, das Firmengelände zu verkaufen und Wohnzwecken zuzuführen, teilt Schröder mit. Konkreter wollte sie sich nicht äußern.
Zurück zu den Fortschritt-Kleingärtnern. Die Sparte ist begehrt. Leerstand ist hier ein Fremdwort. Im Gegenteil. „Wir haben eine Warteliste“, sagt Kocka lächelnd. Was ihn in diesem Zusammenhang besonders erfreut: Viele junge Familien gehören zu den Bewerbern. Vermutlich auch aufgrund der guten Lage in der Innenstadt reißt man sich um die Parzellen. Außerdem stimmt der Zusammenhalt. Ein Schwatz mit dem Nachbarn ist immer drin, so der Vorstand. Und die Rentnergeneration trifft sich gerne und oftmals bereits zum Elf-Uhr-Tee, um die Bierkorken knacken zu lassen, fügt Rudolf Scherzer mit einem Augenzwinkern hinzu.
Dann ist aber auch schon Schluss mit lustig, beide Herren haben noch zu tun im Garten. Bei Jens Kocka ist der Kohlrabi dran und Rudolf Scherzer will nachsehen, ob er schon die ersten Radieschen in seinem Frühbeet ernten kann. „Die schmecken!“, sagt er und eine gute Portion Stolz schwingt bei seinem Gärtnerglück mit.