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„Jetzt gibt’s was auf die Fresse“

Mit Baseballschlägern sei eine Gruppe „stadtbekannter Nazis“ auf politisch linksgerichtete Jugendliche losgegangen. Jetzt ermittelt der Staatsschutz.

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Von Tina Soltysiak

Eine zufällige Begegnung während eines Männertagsausflugs endete in einer Schlägerei, bei der sogar Baseballschläger zum Einsatz gekommen wären. So schildert es ein Augenzeuge. Was klingt wie in einem Krimi, sei tatsächlich so in Leisnig passiert – in der Nähe der Gartenanlage Tragnitz Aue. Dabei seien Anhänger verschiedener politischer Gesinnungen aufeinander getroffen. Die von der Polizei bestätigten Konsequenzen: Der Streit eskalierte, die Polizei musste einschreiten, ein Jugendlicher in die Klinik.

Ein Augenzeuge, der aus Angst vor weiteren Repressalien seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, erzählt: „Wie jedes Jahr sind wir als Abschluss einer Wanderung an die Mulde zelten gegangen. Da waren schon zwei, drei Nazis. Einer von denen ist mit einem Pocketbike mit Tempo 50 und einem Kind ohne Helm hintendrauf, auf uns zugefahren. Dabei hätte er einen von uns fast umgefahren.“ Daraufhin hätten die 18 bis 20 Jugendlichen, die sich politisch als „links“ und „neutral“ bezeichnen, den Motorradfahrer aufgefordert, das Herumfahren zu unterlassen und das Kind nicht zu gefährden. Der „Nazi“, wie der Augenzeuge ihn nennt, habe zudem Anstalten gemacht, die aufgebauten Zelte über den Haufen zu fahren. „Da haben wir ihn gefragt, was sein Problem ist“, sagt der Augenzeuge. Die Antwort habe geheißen: „Jetzt gibt’s was auf die Fresse.“ Der Mann sei daraufhin weggefahren, habe telefoniert und sei jedoch mit seinen Kumpanen in Sichtweite geblieben.

Rangelei und eine Backpfeife

„Wir dachten, das ist alles nur heiße Luft. Doch dann kamen plötzlich noch mehr Nazis. Es gab eine Rangelei und auch die erste Backpfeife“, so der 18-Jährige. Schlichtungsversuche seien gescheitert. Deshalb sei die Polizei informiert worden. „Wir haben uns dann in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen sind zum Alternativen Jugendzentrum (AJZ) gefahren, die anderen waren noch an der Gartenanlage“, erzählt er. Die sieben bis acht Verbliebenen seien daraufhin plötzlich von etwa 18 Leuten überfallen und auch mit Baseballschlägern attackiert worden. „Mein Kumpel hatte eine Platzwunde und ein zugeschwollenes Gesicht und musste deshalb kurz ins Krankenhaus“, erzählt der Augenzeuge.

Opferberatung eingeschaltet

Da solch eine Eskalation neu für die Jugendlichen gewesen sei, haben sie sich Hilfe bei der Chemnitzer Opferberatung für Betroffene rechtsmotiverter und rassistischer Gewalt (RAA Sachsen) geholt. „Die Angreifer waren zum Teil bekannt und konnten somit auch der rechten Szene Leisnigs zugeordnet werden. Stumpfe Parolen, wie ,AJZ-Fotzen‘ oder ,dreckiges Asylantenpack‘ unterstrichen das rechte Motiv des Angriffes“, teilt André Löscher von der Opferberatung mit. Bei dem Gespräch vor Ort habe er folgende Beobachtungen gemacht: „Auf dem Marktplatz stand eine Gruppe, die allein durch die Aufdrucke ihrer Kleidung der rechten Szene zugeordnet werden kann, an der Tankstelle stehen Männer mit ,Freiheit statt BRD‘-Shirts und einer tätowierten Triskele.“ Die Triskele sei eine Abart des Hakenkreuzes und das Symbol der 27. SS-Freiwilligen-Grenadier-Division „Langemarck“ gewesen.

Löscher fordert: „Die Polizeibeamten, die den Angriff aufnahmen, müssen die Aufklärung des Angriffes und die Würdigung des rechten Motives nun schnellstmöglich zu einem Ergebnis bringen, damit Täter zur Rechenschaft gezogen werden und die Jugendlichen in ihrer Beschreibung einer gewaltbereiten starken rechten Szene in Leisnig Gehör finden.“

Mutmaßliche Täter geflüchtet

„Die Presseinformation des RAA Sachsen wurde der Polizei erst über Ihre Medienanfrage bekannt“, teilt Jana Kindt, Sprecherin der Polizeidirektion Chemnitz, auf DA-Anfrage mit. Die darin gemachten Aussagen würden selbstverständlich in die weitere Ermittlungsarbeit einfließen. „Wir ermitteln wegen des Verdachts der Körperverletzung. Die Ermittlungen führt das Dezernat Staatsschutz der Polizeidirektion Chemnitz“, so Jana Kindt weiter.

Sie bestätigt, dass es infolge des Übergriffs drei Verletzte gab – einer von ihnen kam zur Behandlung in ein Krankenhaus. „Beim Eintreffen der Polizei waren keine Täter mehr vor Ort“, teilt die Pressesprecherin mit. Aufgrund des laufenden Verfahrens könne sie jedoch keine weiteren Auskünfte in diesem Fall geben.

Andreas Löscher von der Opferberatung schildert, dass die Präsenz der mutmaßlichen „Nazis“ große Auswirkungen auf den Alltag nicht-rechter und alternativer Jugendliche in der Stadt und der Umgebung von Leisnig hätten. „So sind bestimmte Orte nahezu ,No-go-Areas‘. In dem Gespräch mit den Betroffenen wird von Verfolgungen mit dem Auto und Drohungen auf offener Straße und in sozialen Netzwerken gesprochen“, teilt er mit.

Der Polizei und der Leisniger Stadtverwaltung sei dies allerdings nicht bekannt. „Weder Drohungen auf offener Straße und in sozialen Netzwerken noch Verfolgungen mit dem Auto sind der Polizei bisher angezeigt worden. Bereiche, die als No-go-areas bezeichnet werden, gibt es in Leisnig nicht“, so Jana Kindt. Bürgermeister Tobias Goth (CDU) sagt auf DA-Nachfrage: „Falls es zu Übergriffen in der Stadt kommen sollte und wir davon erfahren, gilt die Polizeiordnung der Stadt, nach der wir dann handeln können.“