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Jedermanns Liebling

Lukas Podolski gibt als Kapitän seine Abschiedsvorstellung in der Nationalelf. Er hat in den 13 Jahren 129-mal gespielt und 48 Tore erzielt. Seine größte Stärke aber war es, sich selbst treu zu bleiben.

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© Getty Images/FIFA/Mike Hewitt

Von Sven Geisler

Man stelle sich das vor: Es geht um alles oder nichts, der deutschen Fußball-Nationalelf droht das Aus in der Vorrunde der Europameisterschaft 2004 – und die letzte Hoffnung für die Fans im Estadio José Alvalade von Lissabon ist ein gerade mal 19 Jahre alt gewordener Bursche: Lukas Podolski. Sie rufen seinen Namen, fordern seine Einwechslung. Dabei hatte Teamchef Rudi Völler für den Stürmer, der mit dem 1. FC Köln gerade in die 2. Bundesliga abgestiegen ist, bei dessen erstem internationalen Turnier nur einen Beobachtungsposten vorgesehen. Und jetzt soll Poldi die Rumpelfüßler vor der Blamage bewahren? Das ist tatsächlich zu viel verlangt, die Niederlage gegen Tschechien kann er nicht verhindern.

Poldis geht doch es bleiben die Bilder

„Ihm fliegen überall die Herzen zu“, sagt Jogi Löw über Poldi. Die Fans werden ihn vermissen.
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Sind sie nicht knuffig, die jungen Burschen? Lukas Podolski (l.) und Bastian Schweinsteiger vor der EM 2004 als Neulinge in der Auswahl.
Sind sie nicht knuffig, die jungen Burschen? Lukas Podolski (l.) und Bastian Schweinsteiger vor der EM 2004 als Neulinge in der Auswahl.
Podolski trifft im Elfmeterschießen bei der Heim-WM – eine Schlüsselszene für ihn und das Team.
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Einer seiner wenigen Aussetzer: die Backpfeife gegen Michael Ballack im Spiel gegen Wales 2009.
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Natürlich, der Kölsche Jung: Prinz Poldi wirft Süßigkeiten vom Rosenmontagszug.
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Seine Jugendfreundin Monika stammt wie er aus Oberschlesien, seit 2011 sind sie verheiratet.
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Seinen polnischen Wurzeln und Großmutter Zofia ist Poldi immer verbunden geblieben.
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Sein größter Erfolg: in der magischen Nacht von Rio im Juni 2014 mit dem WM-Pokal.
Sein größter Erfolg: in der magischen Nacht von Rio im Juni 2014 mit dem WM-Pokal.

Aber Podolski ist das Versprechen für eine bessere Zukunft und das böse Ende deshalb ein guter Anfang. Für ihn sowieso, aber genauso für die Auswahl. Gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger steht er für den Aufbruch, für jugendliche Unbekümmertheit, für Spiel- und Wortwitz. Die Schlagzeilen sind überschwänglich. „Prinz“, „Pop-Star“ und sogar „Liebling Deutschland“ titeln Zeitungen. Der Personenkult um den Teenie-Schwarm bereitet auch Sorgen. „Wir müssen es schaffen, ihm nicht den Kopf zu verdrehen“, warnte damals Jürgen Klinsmann, der als Bundestrainer den Neustart einleitete.

Jetzt, gut 13 Jahre später, steht fest: Poldi ist Poldi, unverstellt, fröhlich, geradezu. Dieser Kölsche Jung hat sich nie verrückt machen lassen – weder von dem Rummel in der Anfangszeit noch von der Kritik, die auf ihn einprasselte, wenn er im Verein mal wieder nicht spielen durfte. In der Nationalelf durfte er fast immer. 129 Länderspiele hat er bestritten und 48 Tore erzielt, am Mittwoch gibt er seine Abschiedsvorstellung beim Klassiker gegen England in Dortmund und wird die Mannschaft als Kapitän auf den Platz führen. Das Versprechen von Bundestrainer Joachim Löw kommentiert er auf seine typisch knappe Art: „Sensationell.“

Es wird für Podolski eine emotionale Sache. „Vielleicht verdrücke ich auch eine Träne“, hat Podolski im Interview mit dem Kölner Express gesagt. „Ich habe weder Wehmut noch Angst vor dem Danach. Ich freue mich einfach, dass ich dieses Spiel bekommen habe – das ist ja nicht selbstverständlich.“

Anders als Michael Ballack hat sich Podolski nicht mit Löw überworfen, der stets sein wichtigster Fürsprecher war: als er bei den Bayern nur Bankdrücker war, sich mit der Rückkehr nach Köln zu viel aufgebürdet hatte, bei Arsenal London und Inter Mailand nicht spielte. „Ich glaube, ich war auch eine Art Musterschüler für ihn. Man merkt ihm immer an, dass er stolz darauf ist, Spieler weiterzuentwickeln“, hat Podolski dem Kölner Stadt-Anzeiger gesagt.

Es lief beileibe nicht alles glatt in seiner Karriere, die Zeit bei der Nationalelf war für ihn jedes Mal wie ein Kuraufenthalt. „Ich genieße es einfach, dabei zu sein, mit Herz und Elan spielen zu können“, sagte er. Einer wie er braucht viel Vertrauen, um seinen Spaß am Spiel ausleben zu können. Es wäre jedoch fatal, Podolski auf die rheinische Frohnatur zu reduzieren, auch wenn er gerne den Klassenkasper mimt und ihm – wie es Löw ausdrückt – überall die Herzen zufliegen.

Es mag ein Grund gewesen sein, ihn trotz nachweislich nachlassender Leistungsfähigkeit als Stimmungsmacher mitzunehmen: erst zur Weltmeisterschaft 2014 nach Brasilien, wo er zwar nur 53 Minuten gespielt, aber doch den Titel mitgewonnen hat. Und dann zur EM 2016 in Frankreich. Podolski hat wichtige Spiele entschieden, Verantwortung übernommen. Wie bei der WM 2006, die erst durch das Elfmeterschießen gegen Argentinien zum „Sommermärchen“ werden konnte. „Das war ja kein Kirmesspiel“, hat er dem Magazin 11Freunde erzählt. „Es war das Viertelfinale bei einer Heim-WM vor 70 000 Leuten im Olympiastadion. Ich war gerade 21 Jahre alt. Ich habe versucht, an nichts zu denken, sondern den Ball einfach reinzuknallen. Es war schon eine große Erlösung, als der Ball drin war. Ein geiles Gefühl.“

Mit seinen Toren und mit seiner bodenständigen Art ist Podolski jedermanns Liebling geworden: eher Volksheld als Star. Sowohl in Deutschland als auch in Polen. „Ich habe ein polnisches Herz, und das wird auch immer so bleiben“, hat er gesagt und nur verhalten gejubelt, als er bei der EM 2008 beide Tore beim 2:0-Sieg schoss. Für Deutschland. Gegen Polen. Er wurde in der schlesischen Bergarbeiterstadt Gliwice (Gleiwitz) geboren und war zwei Jahre alt, als die Familie nach Bergheim bei Köln zog. „Wir haben in einer Ein-Zimmer-Wohnung gelebt, ich habe auf der Straße gekickt.“

Obwohl er Millionen verdient, verzichtet Podolski auf jeglichen Protz. „Gesundheit ist für mich der wahre Luxus.“ Das war immer seine Einstellung. Privates Glück kommt dazu. Seine Frau Monica, die wie er aus Oberschlesien stammt, hat er mit 17 kennengelernt, und was ihm auch wichtig war: „Sie ist wie ich kein Disko-Typ.“ Im Juni vorigen Jahres bekamen sie ihr zweites Kind und Sohn Louis (acht Jahre) mit Maya eine Schwester.

Podolski ist ein Familienmensch, postete in sozialen Netzwerken ein Foto mit seiner Oma. „Hallo Großmutter! Du bist nie zu alt für ein Selfie! Big Love.“ Sein Rücktritt aus der Nationalmannschaft hat sicher auch familiäre Gründe. „Ich trete kürzer und widme mich mehr anderen Dingen“, schrieb er dazu bei Instagram. „Am meisten natürlich meiner Familie. Ich bin sicher, dass sie sich nicht beschweren wird, wenn ich künftig mehr Zeit für sie habe. Und darauf freue ich mich.“

Andererseits gibt es genug Experten, die meinen, er hätte wie Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker nach der magischen Nacht von Rio und dem Sieg im WM-Finale zurücktreten müssen, die letzten zwei Jahre sei er nur als Maskottchen und Gute-Laune-Onkel mitgenommen worden. Sein Einspruch: „Es stimmt, dass ich nicht so viel gespielt habe, aber es kommt bei einem Turnier nicht nur auf die elf an, die auf dem Rasen stehen und die man im Fernsehen sieht.“ Manche werfen ihm vor, er habe sich nicht weiterentwickelt. Was soll das heißen? Ist jemand keine Persönlichkeit, nur weil er nicht den Anspruch hat, eine Führungsrolle zu übernehmen?

Podolski wollte immer nur eines: spielen. Das Drumherum, die Pressekonferenzen und Interviews, hat er nie allzu ernst genommen. Seine Antworten sind legendär: kurz, knapp, knackig. Wenn er also gefragt wird, ob sich ein Bundestrainer während des Spiels in die Hose fassen darf, grinst er und sagt vor versammelter Journalistenschar und laufenden Fernsehkameras: „Ich glaube, 80 Prozent von euch kraulen sich doch auch mal an den Eiern.“

Er wird in der Nationalelf fehlen. „Lukas kann niemand ersetzen. Er ist einmalig, ein Unikat“, sagt Löw – und er meint damit mindestens genauso den Menschen wie den Fußballer. Podolski macht sich Sorgen um die jungen Spieler von heute, sie seien computergesteuert. Man wolle offenbar Spieler wie aus dem Katalog, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Typen entwickeln sich so kaum noch. Das ist schade, denn Typen machen doch den Fußball aus.“ Den Jugendlichen von heute, so seine Einschätzung, nehme man fast alles ab. „Es gibt für alles einen Spezialisten: Videoanalysten, Pädagogen, Psychologen oder Ernährungsberater.“

Er habe sich zu Hause umgezogen, Papa ihn zum Training gefahren. „Und dann ging es auch schon auf den Platz.“ Sportlich hat Podolski seine beste Zeit mit nun 31 hinter sich, auch wenn er im Sommer vom türkischen Traditionsklub Galatasaray Istanbul zu Vissel Kobe nach Japan wechselt. Ein Abenteuer, mehr mag er dazu noch nicht sagen, aber die Familie nimmt er mit.

Bei allem Reiz des Fernen Ostens dürfte Geld keine unbedeutende Rolle spielen. Für zweieinhalb Jahre soll er 19 Millionen Euro netto kassieren. Aber wer würde „Poldi“ etwas übelnehmen? Seine wenigen Entgleisungen wie 2009, als er Kapitän Ballack beim Spiel in Wales auf dem Platz eine Ohrfeige verpasste, wurden ihm schnell verziehen. Entschuldigung, 5 000 Euro für eine Fairplay-Aktion – Schwamm drüber. Er muss nicht mal die Nationalhymne mitsingen. „Ich habe immer gesagt, dass das nicht mein Ding ist.“ Punkt.

Nun hört er sie ein letztes Mal als deutscher Nationalspieler, „Das wird ein ganz toller Abend für mich“, meint Podolski. Das, was damals 2004 mit einer Enttäuschung begann, endet als eine Heldengeschichte. Der Hoffnungsträger von einst blickt stolz auf seine Karriere zurück: „Das ist doch geil, das wird mir nie wieder jemand nehmen können.“

Sein Fazit zieht er im Gespräch mit 11Freunde: „Ich habe mich nie verstellt, ich bin mir immer selbst treu geblieben“, erklärt Podolski. „Das ist mir wichtig. Ich bin mit mir im Reinen, und ich bin stolz auf das, was ich als Nationalspieler geschafft habe.“ Und dann zieht er einen Strich unter seine besondere Karriere: „Es war mir eine Ehre.“