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„Jeden Tag heulen die Sirenen“

Demonstrationen gegen Hamas, Sorgen um Freunde beim Militär und Raketenalarm gehören zum Alltag der aus Dresden stammenden Praktikantin Aline Maschke in Tel Aviv.

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© privat

Die Praxis üben und etwas erleben, das wollte Aline Maschke, als sie Anfang Juni nach Israel ging. Nach ihrem Politik-Studium in London entschied sich die 26-Jährige für ein Praktikum bei einer Kommunikationsfirma in Tel Aviv. Seit dem 8. Juli herrscht Krieg zwischen Israel und der terroristischen Palästinenser-Organisation Hamas. Hunderte Zivilisten sind schon umgekommen. Über ihren Alltag spricht die gebürtige Dresdnerin am Telefon mit der SZ-Autorin Nadja Laske.

Frau Maschke, wie nah kommt Ihnen der Krieg?

Er beschäftigt mich täglich. Die Menschen in Tel Aviv sind direkt betroffen, seit die Luftangriffe begonnen haben. Fast jeden Tag heulen die Sirenen und warnen in den betroffenen Vierteln vor Raketen. Die Bewohner im Süden des Landes sind aber noch viel stärker in Gefahr als wir hier.

Das heißt, Sie suchen auch selbst Sicherheit in Luftschutzkellern?

Manchmal sogar mehrmals am Tag. Im Süden haben die Menschen die Order, innerhalb von 30 Sekunden den nächsten Sicherheitsraum aufzusuchen. In Tel Aviv sind anderthalb Minuten Zeit, doch auch das ist knapp.

Haben Sie Angst?

Ein Gefühl der Angst hatte ich, als ich die Sirene zum ersten Mal hörte und wusste: Das ist nicht nur Theorie, das ist Ernst. So merkwürdig es klingt, aber inzwischen sind die Warnung und der Gang zum Schutzraum eine Art Routine geworden.

Was muss passieren, damit Sie Ihr Praktikum in Israel abbrechen?

Bisher habe ich nicht daran gedacht zurückzukehren. Es gibt Bekannte und Freunde, deren Familien zur Rückkehr drängen. Meine Angehörigen überlassen mir diese Entscheidung und haben das Vertrauen, dass ich die Situation realistisch einschätze. Die Gefühle sind sehr ambivalent: Einerseits ist dieser Krieg täglich um mich herum, und andererseits gehe ich ganz normal zur Arbeit und treffe Freunde.

Wie gehen die Leute mit der Lage um?

Das Thema ist allgegenwärtig und wird immer und überall diskutiert. Die Meinungen sind vielfältig. Ich selbst will mich auf keine Seite schlagen und versuche, beide Perspektiven halbwegs zu verstehen. Was immer die Menschen über diese Auseinandersetzung auch sagen, alle wollen Frieden und in Ruhe leben. Aber keiner weiß, wie das gehen kann, und was die Regierung aktuell entscheidet, das ist für die normalen Leute sehr undurchsichtig.

Wie informieren Sie sich?

Ich lese deutsche, israelische und palästinensische Zeitungen im Internet. Hebräisch habe ich ein wenig gelernt.

Wann erleben Sie das Leid der Menschen besonders mit?

Wenn mir Freunde und Bekannte erzählen, dass Männer aus ihren Familien zum Militärdienst eingezogen wurden. Das trifft inzwischen fast jede Familie. Ehemänner von Freundinnen sind als Reservisten im Einsatz, da macht man sich große Sorgen. Eins der letzten Wochenenden habe ich in Jerusalem verbracht. Dort erzählten mir Kinder, wie sie wegen der ständigen Raketenangriffe aus ihrem Haus im Süden Israels ausziehen mussten.

Was hat Sie selbst nach Israel gezogen?

Mein Vater hat viele Jahre lang im Nahen Osten als Ingenieur gearbeitet. Vergangenes Jahr ist er gestorben, und es hat mich in den Teil der Welt gezogen, wo er so viel Zeit seines Lebens verbracht hat.

Der Flughafen Tel Aviv wird beschossen. Was bedeutet das für Sie?

Sollte der Flughafen geschlossen werden, bliebe die einzige Möglichkeit, über Jordanien auszureisen. Da Libanon und Syrien Israel nicht anerkennen, ist eine Einreise in diese Länder nicht möglich. Der Grenzübergang zu Ägypten ist wegen der Nähe zum Gaza-Streifen unsicher. Viele meiner internationalen Freunde verlassen Israel diese Woche, solange es noch möglich ist und weil sich die Situation nicht bald zu beruhigen scheint. Ich zögere noch.