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Ja, pick mich doch am Bürzel!

Das Vorweihnachtsstück des Gerhart-Hauptmann-Theaters behandelt ernste Themen. Mit steigendem Alkoholkonsum der Protagonisten wird’s aber lustig.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Martin Morgenstern

Nach den erfolgreichen Kinderbuchhelden Jim Knopf (1960), Momo (1973) und Bastian Balthasar Bux (1979) schickte der Autor Michael Ende 1989 in seinem letzten Roman einen dicken, romantisch-schwärmerischen Kater und einen zerzausten, polyamoren Raben in einen moralinsauren Jahresendkampf gegen satanische Mächte, die den Untergang von Mensch und Natur im Sinn haben. Waldsterben, umkippende Flüsse und die Macht des Geldes: „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ behandelt ernsthafte Themen in einer anspielungsreichen, bunten und gewitzten Sprache. Schon 1990 kam eine Theaterfassung auf die Bühne, die für Kinder ab acht Jahren gedacht ist, indes vielleicht eher noch Zuschauer begeistern dürfte, die ein wenig älter sind. Levente Gulyás hat dem Stück für die Aufführungen des Gerhart-Hauptmann-Theaters einen Rahmen aus kurzen musikalischen Nümmerchen gebastelt, der bei der Premiere des Stücks am Sonnabend in Zittau vom Band lief, während die teuflischen und tierischen Protagonisten playback sangen.

Die flüssigen Zutaten für das komplexe höllische-undsoweiter-Gebräu, das nun bis Jahresende durstigen Kehlen in Görlitz und Zittau nahezu täglich verabreicht wird, sind also unbehandelt erst einmal nicht so einfach wegzuschlürfen. Noch dazu konzentriert sich diese Theaterfassung des „Wunschpunsches“ auf die gesprochenen Dialoge der vier Hauptdarsteller und schenkt der eigentlichen, alchemistisch ungeheuer herausfordernden Herstellung des titelgebenden Getränks, die den bestkomponiertesten Teil der Romanvorlage einnimmt, kaum Aufmerksamkeit. Die dadaistischen Verse des langen Punschrezepts („Drum achte man aufs Hirngebläse / beim diabolischen Kontarkt / denn scheuert die Schimären-Fräse / dann schnibbelt leicht der Sadofarkt“) bleiben den Zuschauern gänzlich vorenthalten.

Die Kemenate des irrwitzigen Zauberers (Tilo Werner) ist auf die Zittauer Drehbühne gebaut; ihre Hinteransicht ist die Außenfassade des schneesturmumtobten Münsters, an dem Kater und Rabe hochkraxeln, um die Menschheit mit einem vorgezogenen Silvestergeläut zu retten. In Gretl Kautzschs gutmütiger Ausstattung ist der Kamin in eine Rutsche umfunktioniert; kleine Atomraketen zischeln freudig fiepend durch die Szenerie, und die exaltierte Tante des Zauberers (Sabine Krug) darf auf nuklearen Endlagerfässern ausruhen. Alle handelnden Personen bemühen sich nach Kräften, die Handlung aus des Zauberers Hinterzimmer auf die fast leere Vorderbühne zu ziehen.

Der Filius auf dem Nachbarsitz amüsierte sich köstlich an den zahlreichen Spiel- und Wortwitzen, soviel steht fest. Darf man es da als Erwachsener ein klitzekleines bisschen schade finden, dass sich die Inszenierung der freischaffenden Regisseurin Leila Müller bei dieser Vorlage jeglicher Anspielung an die völlig enthemmten politischen und wirtschaftlichen Zustände unseres neuen Jahrtausends komplett enthält? Dadurch – und den manchmal schon etwas angestaubten Text Michael Endes, in dem der Rabe (Stephan Bestier gibt ihm eine nervig-quäksige Stimme) sich „impertinent“ schimpfen lassen muss und dem Kater (Kerstin Slawek) daher immer wieder „auskommt“, wirkt dieser „Wunschpunsch“ am Anfang ein bisschen abgestanden. Nach der Pause aber steigt der Alkoholpegel von Zauberer und Dilettante, was auf der Bühne langsam, aber sicher zu der vom Kenner der Vorlage lang erwarteten sprachlichen Enthemmung führt. Jetzt ist auch der letzte Zuschauer mit an Bord, jetzt gibt es jubelnden Szenenapplaus für besonders gelungene Repliken. Eine hübsche Regiepointe: der teuflische Abgesandte Maledictus Made und der heiligenscheinige Silvester werden von Florian Graf so verwechselbar gespielt, dass man fast glauben könnte, die Abgesandten kämen vom selben Chef. Das Finale jedenfalls, in dem der durch einen Zauberspruch abgespeckte und mit höchsten Sängerweihen ausgestattete Kater „Nessun dorma“ schmettert, gerät zum Höhepunkt, die letzten Worte des Buches werden auf den Schlussvorhang projiziert: Ende gut, alles gut.

Weitere Veranstaltungen: https://www.sz-veranstaltungskalender.com/veranstaltungen

Das Weihnachtsmärchen des Bautzener Theaters wird hier rezensiert: https://www.sz-online.de/nachrichten/poetisch-spannend-anruehrend-3830660.html