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Ist Kamenz eine Kriminalitätshochburg?

Eine Statistik weist der Lessingstadt auf einen traurigen Spitzenplatz zu. Susann Benad-Uslaub, Leiterin des Polizeireviers, bezweifelt die Tauglichkeit dieser Methode.

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© picture alliance / dpa

Kamenz. Unlängst vermeldete die SZ auf der ersten Seite: „Kamenz ist die kriminellste Stadt.“ Diese Aussage war auf den Landkreis gemünzt. Sie bezog sich auf eine einzige statistische Kennziffer. Das Erschrecken war groß, auch am SZ-Lesertelefon. Der Bernbrucher Wolfgang Kriesten zum Beispiel meinte, dass er bisher eher den Eindruck gehabt habe, in der Stadt sicher zu leben. Ist die gefühlte Lage etwa besser, als die tatsächliche? Die SZ sprach mit Polizeirätin Susann Benad-Uslaub, Leiterin des Polizeireviers Kamenz:

Frau Benad-Uslaub, Kamenz nimmt offenbar eine negative Spitzenstellung im Landkreis ein. Ist es so?

Die polizeiliche Kriminalstatistik rechnet mit der sogenannten Häufigkeitszahl. Sie stellt die Anzahl der bei der Polizei angezeigten Delikte der Wohnbevölkerungszahl gegenüber. Die Zahl soll etwas über die Kriminalitätsbelastung aussagen, also die Wahrscheinlichkeit, mit der jemand in einem bestimmten Gebiet Opfer einer Straftat werden kann.

In Kamenz ist demnach die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, besonders hoch?

Aus einer einzigen Kennziffer kann man das so vereinfacht nicht ableiten. Hauptzweck der polizeilichen Kriminalstatistik ist neben der Beobachtung spezieller Deliktsarten, neue Erkenntnisse für Vorbeugung und Strafverfolgung zu erlangen, was eher auf organisatorische Planungen und kriminalpolitische Maßnahmen hinweist.

Was sagt die Häufigkeitszahl für Kamenz denn nun konkret aus?

Im vergangenen Jahr betrug die Häufigkeitsziffer für Kamenz 9 703 – also hochgerechnet auf 100 000 Einwohner. Diese Zahl liegt über dem sächsischen Durchschnitt von knapp 8 000. Im Quervergleich ähnlicher Gemeinden im Freistaat liegt die Stadt damit tatsächlich eher im Vorderfeld, aber gegenüber 2015 gab es zum Beispiel einen deutlichen Rückgang dieser Kennziffer, die damals  immerhin 10 602 betrug.

Das heißt, die Häufigkeitskennziffer ist als Totschlagargument ungeeignet?

Sie ist jedenfalls kein Gradmesser, inwiefern eine Stadt sicherer oder unsicherer ist. Die Statistik zählt jedes einzelne Delikt und stellt alle unbenommen ihrer Schwere 1:1 gegenüber. Natürlich macht es aber einen Unterschied, ob es sich bei der einen Straftat um eine Beleidigung oder aber einen Mord, Kindesmissbrauch oder einen schweren Landfriedensbruch handelt. Deshalb reicht zum Beispiel zur Beurteilung, ob „die Kamenzer zehnmal gefährlicher leben“ als andere eine rein zahlenmäßige Betrachtung nicht aus. Das muss klar sein.

Wovon hängt die Häufigkeitskennziffer denn nun ab?

Die Verteilung der Kriminalität ist von bestimmten Einflüssen abhängig. Dazu gehören neben Tatmotiv und Tatgelegenheit auch eine niedrige Hemmschwelle, günstige Fluchtwege, mangelnde Sozialkontrolle und ein geringes Entdeckungsrisiko. In Städten ist die Häufigkeitskennziffer regelmäßig höher als auf dem Dorf. Ladendiebstähle sind halt an Einkaufsmärkte, Firmeneinbrüche an Betriebe, Tankstellenbetrug an Zapfsäulen, andere Delikte an die Existenz einer bestimmten Sozialstruktur gebunden. Auch die Nähe einer Örtlichkeit zu Veranstaltungsorten und Naherholungsgebieten sowie die Lage im öffentlichen Nahverkehr sind Faktoren.

Das bedeutet, dass die Häufigkeitskennziffer selbst in einer Stadt wie Kamenz Unterschiede aufweist?

Genau so ist es. Würde man Kamenz in Räume aufteilen, die in ihrer Dimension die Einwohnerzahlen kleiner Gemeinden repräsentieren, hätten wir 20 Regionen mit höchst unterschiedlicher Kriminalitätsbelastung. Auch in Kamenz gibt es sogenannte Hotspots, an denen sich Kriminalität häuft, aber auch Bereiche – und das ist der größere Teil – an denen, wie wir sagen, Kriminalitätsfrieden herrscht.

Wie sieht es denn nun insgesamt mit der Kriminalität hier in Kamenz und im Revierbereich aus?

Die Statistik weist aus, dass im Bereich des Polizeireviers Kamenz die registrierte Kriminalität seit mehreren Jahren leicht rückläufig ist. Wir lagen mit 4 729 erfassten Fällen 2016 sogar auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Maßgeblich hierfür sind Rückgänge bei den registrierten Fällen der Rauschgift- und Betrugskriminalität sowie bei einfach gelagerten Diebstählen.

Und wo liegen die Schwerpunkte?

Deutlichere Zunahmen bei der reinen Fallzählung gibt es im Bereich der Eigentumskriminalität. Beim Diebstahl unter erschwerenden Umständen, einem Diebstahl, bei dem zumindest ein Hindernis überwunden wurde, verzeichnen wir 16 Prozent Zuwachs, ebenso bei Einbruchsdiebstählen in Büro und Lagerräume gab es Anstiege. Bei Wohnungseinbrüchen gibt es sogar eine Verdopplung der Fallzahlen. Dabei zeigt sich, dass die Stadt Kamenz diesbezüglich tatsächlich etwas stärker belastet, das Wohnungseinbruchsrisiko im Zuständigkeitsbereich des Polizeirevieres insgesamt aber relativ gering ist.

Mehrfach wurde im Polizeibericht 2016 von Körperverletzungen berichtet. Wie sieht es in diesem Deliktbereich aus?

Bei den sogenannten Roheitsdelikten gibt es einen Anstieg von knapp 13 Prozent, insbesondere auch bei einfach gelagerten Körperverletzungen. Hier verzeichnen wir den höchsten Stand seit 2009 – hier ist sicher ein Erklärungsansatz für Verunsicherungen zu verorten. Von einem Eigentumsdelikt betroffen zu sein, ist meist ebenso einschneidend, wie Opfer einer Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. des Lebens zu sein. Letzteres ist meist im persönlichen Umfeld zu finden. In einer überwiegenden Anzahl der Fälle sehen wir Beziehungen zwischen Opfer und Täter.

Gibt es räumliche Schwerpunkte bei der Eigentumskriminalität?

Eine Häufung gibt es stets dort, wo die Gelegenheit günstig ist. Die Täter wählen in den meisten Fällen die Objekte vorab aus und beurteilen sehr genau, mit welchem organisatorisch-logistischem Aufwand sie welchen Erfolg bei welchem Entdeckungsrisiko erlangen bzw. eingehen. Je höher der Ertrag, desto höher das in Kauf zu nehmende Risiko. Wenn aber Entdeckungsrisiko und Aufwand sehr hoch sind, wird sich der Täter im Zweifel ein leichteres Objekt aussuchen. Ein Beispiel: Viel Licht und gute Sicherungsanlagen erhöhen den Zeitaufwand und damit das Entdeckungsrisiko. Der Täter wird also eher Abstand nehmen. Hingegen Dunkelheit oder leicht zu überwindende Hindernisse und gute Ertragschancen werden den Täter eher anlocken oder wiederkehren lassen.

Wie kann man sich schützen?

Nun, die Polizei braucht zunächst das Vertrauen der Bevölkerung. Dazu gehört es, Diebstähle auch anzuzeigen – jeden einzelnen, mag es ein Ladendiebstahl sein oder auch nur die aufgebrochene Scheune. Die Kriminaltechnik ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass eine Überführung des Täters über geringste Spuren am Tat- bzw. Ereignisort möglich ist. Und dazu kommt ja, dass bei ausbleibender Konsequenz auch kein rechtstreues Verhalten erzeugt wird. Der erfolgreiche Täter wird wieder tätig, ebenso wie das Kleinkind, welches zum ersten Mal eine Treppe besteigt. Im Bereich der Eigentumskriminalität bieten wir gern auch Sicherheitsberatungen an. Oft sind schon mit einfachen Maßnahmen eben die Tatgelegenheiten zu erschweren, was vom eigenen Objekt ablenkt. Man kann dazu gern Kontakt zu uns aufnehmen.

Noch besser sind natürlich polizeiliche Fahndungserfolge ...

Genau, und sie gibt es ja auch. Das Jahr 2016 war vor diesem Hintergrund ein sehr erfolgreiches Jahr. Es gelang mehrfach, Eigentumsdeliktserien aufzuklären und die Täter dingfest zu machen. So hatten wird beispielsweise seit Dezember 2015 bis März 2016 über 20 besonders schwere Fälle des Einbruchs, unter anderem in hier ansässigen Unternehmen wie Baywa, Zoohandlung, Schwimmhalle und Gaststätten, aber auch in Ingenieurbüros. Hier konnten die Täter überführt und in Haft gebracht werden. Und eine weitere Serie seit Dezember des vergangenen Jahres, ebenfalls im Bereich der Eigentumskriminalität, steht kurz vor Abschluss der Ermittlungen.

Gespräch: Frank Oehl