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Ist Deutschland wirklich unsolidarisch?

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellenThemen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht der Autoren Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.Heute: Die Dresdner Wirtschaftswissenschaftler Thomas Graßmann und Frank Stöbe über das Problem mit Griechenland, die Tricks der Politiker und die Gefahren für die Gemeinschaftswährung. Ein Plädoyer für mehr Glaubwürdigkeit in der Politik.

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Von Thomas Graßmannund Frank Stöbe

Die Diskussionen um die Rettung Griechenlands, dann Irlands, Portugals, Italiens und demnächst vielleicht weiterer hoch verschuldeter Euro-Länder hat inzwischen groteske Züge angenommen.

So hatte bereits der Widerstand der deutschen Regierung gegen die vom Vorsitzenden der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker vorgeschlagene Einführung von Euro-Bonds und andere Forderungen von europäischen Politikern eine Kampagne ausgelöst, die in der Einschätzung gipfelt, Deutschland würde sich „unsolidarisch“, „uneuropäisch“, ja sogar „egoistisch“ verhalten, weil es nicht die Auffassung anderer Euro-Staaten, „wie der Euro zu retten sei“, teilt. Ist das gerechtfertigt?

Heute versucht die Politik dem deutschen Steuerzahler die Notwendigkeit von Euro-Rettungsschirmen (schon der Begriff ist suspekt) und Hilfen für andere hoch verschuldete Euro-Staaten damit zu begründen, dass der Euro in Gefahr wäre und man „ihn“, den Euro, retten müsse. In Wirklichkeit war der Euro nie in Gefahr. Die Behauptung, Ziel der ursprünglich 750 Milliarden Euro umfassenden Rettungsaktion wäre, einen Flächenbrand in der Euro-Zone zu verhindern, indem man hoch verschuldete Euro-Mitgliedsländer vor der Pleite bewahre, lenkt von den eigentlichen Problemen ab.

In Wirklichkeit werden mit solcherlei Rettungspaketen Banken gerettet, die in Staatspapieren von Griechenland, Portugal, Italien, Spanien usw. Geld angelegt haben, weil sie mit Investitionen in Staatspapiere mehr Geld als im Interbankengeschäft verdienen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Politik konnten Banken darauf spekulieren, dass Regierungen unter Bruch geltender Verträge, sie, die Banken, wieder raushauen würden– was ja nun auch geschehen ist. Auch deutsche Banken haben lieber griechische als deutsche Anleihen gekauft, weil sie für griechische viel höhere Zinsen bekommen. Und sie konnten das auch ohne Risiko tun, weil klar war, dass man kein Euro-Mitgliedsland fallen lassen würde. Statt Banken für ihre riskanten Geschäfte haften zu lassen, hat die Politik ihnen wieder einen Freibrief für hochriskante Geschäfte ausgestellt. Auch Absichtserklärungen, Gläubiger-Banken in späteren Jahren zumindest teilweise in Haftung zu nehmen, sind bisher nichts weiter als Absichtserklärungen geblieben.

Ehrlichkeit ist gefragt

Offensichtlich will die Politik, nachdem auf dem Höhepunkt der Finanzkrise Banken mit Milliarden Steuergeldern gerettet wurden, nicht schon wieder weitere Rettungsaktionen für Banken in der Öffentlichkeit präsentieren und dem Steuerzahler plausibel machen müssen. Dass die Politik damit ihre Glaubwürdigkeit verliert, scheint offensichtlich vielen politischen Akteuren das kleinere Übel zu sein. Politikern ist wohl nicht bewusst, dass sie sich damit gleichzeitig auch den Weg zur Lösung anderer dringlicher Probleme verbauen könnten. Dabei muss man nicht einmal nach neuen Wegen suchen, sondern braucht sich nur auf lange bekannte Grundsätze politischen Handelns zu besinnen. Zuallererst gelten Ehrlichkeit und Offenheit als primäre politische Tugenden – man sollte also mit offenen Karten spielen und den Steuerzahlern die Wahrheit sagen. Denn im Grunde genommen ist die sogenannte Euro-Krise eine Krise der Politik. Die Politik muss wieder in die Lage versetzt werden, den Banken Rahmenbedingungen vorzugeben, also ordnungspolitisch zu handeln.

Abbau der Staatsverschuldung, Regulierung des Bankensektors und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Mitgliedsstaaten können nur gelingen, wenn sich die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für alle Staaten der Euro-Zone am Subsidiaritätsprinzip und dem Prinzip der Haftung orientieren.

Die Euro-Mitgliedsstaaten müssen sich gegenseitig insofern unterstützen, als dass sie ihre Banken, die als Gläubiger von Staatspapieren viel Geld verdienen, auch bei Zahlungsausfällen haften lassen – und das nicht erst am St.Nimmerleinstag. Merkel und Sarkozy konnten sich lediglich auf eine mögliche freiwillige Beteiligung der Banken einigen. Das letzte Woche von den Staats- und Regierungschefs der 17 Euroländer beschlossene neuerliche Krisenpaket für Griechenland stellt wiederum eine Kompromisslösung dar, sodass nicht abzusehen ist, ob nicht noch weitere Hilfsmaßnahmen notwendig werden. Längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen ermuntern nur zu neuer Kreditaufnahme und damit zu weiterer Verschuldung. Und ob der – natürlich auf „freiwilliger Basis“ – zu erbringende Beitrag der Banken und Versicherungen mit zusätzlichen 37 Milliarden Euro tatsächlich kommen wird, bleibt abzuwarten.

Reformen in der Politik nötig

Dass der sogenannte Euro-Rettungsfonds EFSF ausgebaut werden soll, indem er vorbeugend Geld bereitstellt, falls Euro-Länder in Gefahr geraten, deutet schon an, was uns noch bevorstehen könnte. Zusätzlich soll der EFSF auch Staatsanleihen nach ihrer Ausgabe am Kapitalmarkt aufkaufen können – was wie eine Einladung anmutet, in den Sparbemühungen nachzulassen. Das „Griechenlandproblem“ kann auch nicht isoliert betrachtet werden. Notwendig sind vielmehr weitergehende Reformen des internationalen Finanzsystems unter Führung der G20. Die Staaten müssen als Voraussetzung für eine bessere Bankenregulierung ihre Banksektoren in Ordnung bringen – was für Deutschland bedeutet, das Problem der öffentlich-rechtlichen Landesbanken einer Lösung zuzuführen, für die nicht wieder der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird, oder dass zum Beispiel ein überdimensionierter Bankensektor wie in Irland abgebaut wird.

Zwar wurden inzwischen einige Maßnahmen auf den Weg gebracht, wodurch Banken ihr Eigenkapital stärken müssen – diese reichen aber keineswegs. Weltweit erneut aufkeimender Protektionismus führt dazu, dass einzelne Staaten bereits wieder ihren Bankensektor zu „schützen“ versuchen. Die Folge: erneut üppige Bonuszahlungen im Investment-Banking. Die Koordination zwischen den Staaten wird sich ohne Vereinbarung ordnungspolitischer Grundsätze nicht realisieren lassen. Beispielsweise wird auch das Projekt einer europäischen Wirtschaftsregierung nur dann erfolgreich sein, wenn es das Subsidiaritätsprinzip nicht verletzt. Innerstaatliche Probleme wie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung müssen die Länder demnach also selbst lösen. Das gilt auch für Griechenland.

Bei der Realisierung des Pakts zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, der in „Pakt für den Euro“ umgetauft wurde, wären Überlegungen zu Reformen für den Politikbereich selbst hilfreich. Solche, die sicherstellen, dass der Pakt, tatsächlich wie vorgesehen verwirklicht wird. Geeignete Reformvorschläge könnten sich auf stärkere konstitutionelle Bindungen (zum Beispiel Obergrenzen der Verschuldung) und automatische Sanktionen beziehen. Auch die Delegierung von Kompetenzen an autonome Institutionen (und damit die Gewährleistung parteipolitischer Unabhängigkeit) ist denkbar. Wie solche Vorschläge umgesetzt werden, sollte Gegenstand einer unabhängigen Politikberatung sein.