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Ist der Mindestlohn wirklich zu kompliziert?

Arbeitsministerin Nahles diskutiert mit sächsischen Handwerkern. Gastwirte schimpfen, Steuerberater sind mitschuldig.

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Von Georg Moeritz

Chemnitz/Dresden. Handwerker können sehr misstrauisch sein. Da sitzt immerhin eine Ministerin vor ihnen und verspricht etwas. Aber das genügt den 200 Firmenchefs nicht, die sich zur Diskussion in der Chemnitzer Handwerkskammer in Stuhlreihen gezwängt haben. Aus einer der vorderen Reihen ruft einer: „Das hätten wir gern schriftlich!“ Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) reagiert mit einem knappen: „Entschuldige mal!“

© Paolo Calleri

Thema der Diskussion am Montagabend ist der Mindestlohn. Mit der Höhe von 8,50 Euro haben die Handwerker kein Problem, sagt Dietmar Mothes, Bauunternehmer und Präsident der Handwerkskammer Chemnitz. Doch die Pflicht zur Stundenaufzeichnung und die Kontrollen, die führen zu vielen Fragen. Da zeigt sich: Auch Ministerinnen können sehr misstrauisch sein. Nahles fordert Listen mit Arbeitsanfang und -ende sowie der Stundenzahl. Denn sie habe den Verdacht: Das eigentliche Problem seien nicht die Stundenlisten, sondern „der Umgang mit den Arbeitszeitbestimmungen in der Vergangenheit“.

Die Ministerin sagt den Handwerkern, dass im Reinigungsgewerbe schon lange ein Branchenmindestlohn gelte und „massiv umgangen“ wurde. Deswegen habe sie die Stundenaufzeichnung vorgeschrieben, für Minijobber und für neun Branchen – darunter Bau, Gebäudereinigung, Gastronomie und Logistik.

Auf einer Internet-Seite zum Mindestlohn hat Nahles eine einfache Tabelle veröffentlicht, in die sich die Arbeitsstunden leicht eintragen lassen. „Wir verlangen nicht, genau die Pausen aufzuzeichnen“, sagt Nahles. Das ist der Punkt, an dem die Handwerker ihr nicht glauben. So mancher ist von seinem Steuerberater gewarnt worden, dass er an dieser Stelle bloß nichts falsch machen dürfe. Zwei Jahre lang müssen die Stundenzettel aufbewahrt werden, bei Zollkontrolle drohen hohe Strafen.

Nahles macht einen Fehler in der Diskussion: Sie verteidigt die Zöllner. Die seien bloß „Beamte im mittleren Dienst“, die einen harten Job als Kontrolleure auf Baustellen hätten. Das finden Handwerker lustig: Ein mitleidiges „ooh!“ tönt langgezogen aus der Zuhörerschaft. Die Ministerin entscheidet sich für eine pädagogisch wertvolle Reaktion und sagt: „Schade, dass Sie so reagieren, aber es ist Ihr gutes Recht.“ Gastgeber Mothes hatte schon zur Begrüßung gesagt, Nahles habe sich „hier in die Höhle des Löwen gewagt“. Doch die Fragen aus dem Publikum sind meist höflich, zum Teil etwas ausschweifend-unklar. Nur eine jüngere Frau, die sich als Fleischerin vorstellt, unterstellt der Ministerin Handwerker-Feindlichkeit. „Wir können Ihnen keinen schicken Beraterposten bieten“, sagt sie mit Ironie. Nahles geht darauf nicht ein.

Die Ministerin besteht darauf, dass ihr Mindestlohngesetz „handwerklich gut gemacht“ sei. Allerdings räumt sie im Lauf der Diskussion ein, dass seit Jahresanfang schon einige Details klargestellt werden mussten und dass noch Änderungen bevorstehen. In der Zwischenzeit habe auch so mancher Steuerberater seine Klienten nicht richtig informiert, sagt Nahles: „Nichts gegen Steuerberater, aber sie verstehen vom Arbeitsrecht nichts.“ Allein 6 000 Steuerberater seien unter den 35 000 Anrufern der Mindestlohn-Hotline im Ministerium gewesen.

Da schüttelt zum Beispiel Dieter Richter im Publikum den Kopf; er leitet von Oederan aus die wohl größte Fleischerei-Kette in Sachsen. Das Ganze sei „ein Chaos“, sagt er nach der Diskussion – es könne ihm doch keiner sagen, die Steuerberater seien schuld. Tatsächlich hat Nahles inzwischen eingeräumt, mit vielen Detailproblemen nicht gerechnet zu haben. Schon im Januar gab es Ärger mit tschechischen Spediteuren, die ihre Fahrer für die Strecke durch Deutschland plötzlich stundenweise mit 8,50 Euro bezahlen sollten. Die Frage ist noch nicht endgültig geklärt, deutsche Spediteure und Gewerkschaftsbund bestehen weiter auf den Mindestlohn.

Als Nächstes musste Nahles sich mit Sportvereinen auseinandersetzen und ihnen versprechen, dass Vertragsspieler als Amateure nicht den Mindestlohnvorschriften unterliegen. Es komme aber auf den Einzelfall an, heißt es jetzt auf der Internetseite der Behörde. Wenn die „sportliche Betätigung“ im Vordergrund stehe und „keine Erwerbszwecke“ verfolgt würden, dann gelte auch eine Art Minijob für Sportler noch als Ehrenamt. Einfach?

Die Handwerker wissen nun, dass die Ministerin schon einige Male nachgegeben hat, und verlangen mehr. Kammerpräsident Mothes sieht nicht ein, dass auch Büroangestellte in Handwerksbetrieben wöchentlich Stundenzettel ausfüllen müssen. „Darüber wird zu reden sein“, sagt Nahles. Ein Obermeister einer Elektro-Innung hat gehört, vielleicht würde noch eine Branche von den Stundenaufzeichnungspflichten befreit. Nahles lacht: „Ich kann ja ein gutes Wort für Sie einlegen.“

Schließlich geben die Handwerker der Ministerin noch einen Tadel mit: Sie halten es für falsch, dass künftig eine Kommission von Berlin aus alle zwei Jahre über die Höhe des Mindestlohns entscheiden soll. Nahles sagt dazu, es werde „keinen Automatismus der Erhöhung geben“. Die Kommission sei so zusammengesetzt, dass „kein politischer Mindestlohn“ festgelegt werde.

Am Tag nach Nahles’ Auftritt in Chemnitz äußern sich auch Arbeitgeberverbände in Dresden mit Forderungen zum Mindestlohn. Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft als Dachverband fordert Bürokratieabbau. Die Gastwirte-Vereinigung Dehoga tritt mit fünf Wirten vor die Presse und beklagt, dass mit dem Mindestlohn auch die Arbeitszeitvorschriften verschärft worden seien. Die 8,50 Euro selbst seien „nicht das Problem“, sagt Sachsens Dehoga-Präsident Helmut Apitzsch.

Gabriele Dörner als Wirtin des Landgasthofs und Hotels „Zum Ross“ in Diesbar-Seußlitz berichtet, dass sie seit zehn Jahren die Arbeitszeiten per Stechuhr erfasse. Doch sie findet es „lächerlich“, dass selbst ihr Ehemann als mithelfendes Familienmitglied nun mit der Stechkarte herumlaufen müsse. Noch schlimmer: Sie gerate nun ständig in Gefahr, gegen Vorschriften zu verstoßen – wenn zum Beispiel eine Hochzeitsgesellschaft ihre Feier bis in den Morgen ausdehne, aber die Angestellten nur noch zehn Stunden Arbeitszeit aufschreiben dürften. Nach sechs Stunden Arbeit sei die erste Pause vorgeschrieben, auch das findet Gabriele Dörner nicht richtig: Sollten Gäste etwa dann aufs Essen warten?

Ministerin Nahles ist bei diesem Pressegespräch nicht dabei. Aber am Vorabend in Chemnitz hat sie das Beispiel Hochzeitsgesellschaft schon selbst angesprochen: „Für diese Fälle können wir die Arbeitszeitvorschriften lockern“, sagte sie. Vor Ostern solle eine Lösung gefunden sein.

www.der-mindestlohn-gilt.de; www.dgb.de

Hotline Bundesarbeitsministerium: 030 / 60 28 00 28

Hotline Gewerkschaftsbund: 0391 / 40 88 003