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Irgendwie doch ein Schatz

Weder Münzen noch Gold haben die Vorfahren 1850 in die Kugel der Kirche Niederstriegis gepackt. Kostbares war trotzdem drin.

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© André Braun

Roßwein/Niederstriegis. Das Frieren hat sich gelohnt. Mehr als ein Dutzend Christen der Gemeinde Roßwein-Niederstriegis haben sich am Mittwochnachmittag geduldig vor den eingerüsteten Turm der Kirche Niederstriegis gestellt. Ein paar Kirchvorsteher, Planer und Fotografen sind die rund 200 Gerüststufen bis ganz nach oben gekraxelt. Dort haben die Metalldrücker Christoph und Thomas Müller aus Wurzen die Kirche sozusagen entkrönt, Turmknopf (auch Turmkugel genannt) sowie Kreuz abmontiert.

Beide Teile und vor allem der Inhalt der Kugel werden am Boden neugierig erwartet. Was Pfarrer Heiko Jadatz dann aber der Runde präsentiert, ist eher ernüchternd: eine schwarze Hülse, von der schwarze Spinnweben baumeln. Christoph Müller setzt vorsichtig die Flex an. Zutage kommt eine Art Packpapierrolle. Sie ist mit grün-weißem Band umwickelt, auf beiden Seiten mit einem Siegel verschlossen. Kirchenvorstandmitglied Werner Tietze zückt ein Taschenmesser. Behutsam wird die Rolle geöffnet. Nichts klimpert heraus. Einige der Zuschauer halten nach Münzen Ausschau, einer frohlockt: „Ich freue mich schon auf die Alu-Chips, die da drin sind.“

Doch Geld befördern Jadatz und Tietze nicht auf den vor der Kirche bereitgestellten kleinen Tisch. Die Rolle enthält ausschließlich Papiere – Nachrichten für ferne Zeiten, wie es der damalige Pfarrer August Ferdinand Axt überschrieben hat. Er soll die Kirchenerweiterung 1849/50 angeschoben haben. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Friedhof am Gotteshaus in Niederstriegis. Heiko Jadatz entziffert die Namen von Baubeteiligten, darunter Oswald Wachs aus Roßwein. Und er stößt auf Angaben, was Lebensmittel damals gekostet haben. Der Zentner Kartoffeln war für 2,50 Mark zu haben, der Scheffel Weizen für 12,25 Mark. Darüber staunte nicht nur der Landwirt Werner Tietze. Insgesamt sind die Zuschauer keineswegs enttäuscht, was sie sehen. Auch die Schriftrollen sieht mancher als Schatz mit Wissenswertem über das Leben der Vorfahren an.

Kugel und Kreuz werden sich jetzt die Denkmalpfleger anschauen und festlegen, was die Metalldrücker alles in Angriff nehmen können. Ziemlich sicher ist, dass die Kupferkugel wieder in Form zu bringen ist, Einschusslöcher zu schließen sind, etwas für die Statik getan werden muss. Der Bauplaner Frank Schuster rechnet damit, dass die Kirche Ende Juli wieder bekrönt werden kann – je nachdem, wie schnell die Sanierungsarbeiten am Dach vorankommen.

Bis dahin haben die Gemeindemitglieder Zeit zu überlegen, was sie in die neue Hülse legen wollen. Üblich sind inzwischen Tageszeitungen. Aber die Leute sollen auch erfahren, dass es seit dem Kirchenbau 1850 zwei Weltkriege, ein sozialistisches System und eine politische Wende gegeben hat.

Bei dem jetzt begonnenen Bauabschnitt werden die Dächer von Kirchturm und -schiff erneuert, der Dachstuhl ausgebessert sowie die Ostseite der Turmfassade in Ordnung gebracht. Das alles kostet knapp 200 000 Euro. (DA/sig)