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Ins Abseits getwittert

Die umstrittene Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla wird von ihrer Basis nicht wieder aufgestellt.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Um 15.10 Uhr sitzt Leipzigs umstrittene CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla einen Moment lang regungslos und allein auf ihrem Platz in der ersten Reihe des Saals „Brüssel“ in einem Leipziger Hotel. Die 54-jährige gebürtige Münchnerin muss die Zahlen erst mal verdauen, die sie am Sonnabend auf dem Nominierungskongress der Leipziger CDU gerade gehört hat: Von 126 gültigen Stimmen hat Kudla nur 36 erhalten – knapp 29 Prozent. Die anderen Stimmen verteilen sich auf ihre drei Gegenkandidaten. Damit steht fest: Die Parteifreunde stellen Kudla nicht erneut als Direktkandidatin für die nächste Bundestagswahl 2017 auf. Dieser Moment dürfte ihren baldigen Abschied aus dem Parlament bedeuten. Den drängenden Journalisten sagt sie kurz darauf, mit diesem Votum habe sie nicht gerechnet, sie sei „sehr, sehr enttäuscht“.

Dabei war das Abstimmungsergebnis nicht unbedingt eine Überraschung. Die sächsische Christdemokratin hatte in den vergangenen Wochen mit zwei Twitter-Entgleisungen für Furore gesorgt und ihre Fraktion gegen sich aufgebracht. In einem Tweet zur Flüchtlingskrise hatte sie von einer „Umvolkung Deutschlands“ gesprochen – ein Begriff aus der Nazi-Propaganda, den Rechtsextreme heute als Schlagwort nutzen. Schon zuvor hatte sie den preisgekrönten türkischen Journalisten Can Dündar als „Cansel Dünnschiss“ beleidigt, sich aber später dafür entschuldigt. Auch auf dem Parteitag bedauerte sie noch einmal die Wortwahl ihrer Tweets, die sie inzwischen wieder gelöscht hat. Es sei ihr eigentlich um etwas anderes gegangen, erklärte sie in ihrer Rede. Aufsehen erregte Kudla aber auch, als sie als einzige Abgeordnete im Bundestag gegen die Resolution zum Völkermord an den Armeniern 1915/1916 im Osmanischen Reich gestimmt hatte.

Spitzen der Bundes-CDU hatten Kudla für ihre Äußerungen massiv kritisiert – und nun erhielt Kudla auch die Quittung der Basis. Spekuliert wurde zugleich, ob sie zur AfD wechseln und für die Rechtspopulisten antreten könnte. Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen ermunterte sie in der Bild am Sonntag dazu. Ein Nein dazu äußerte Kudla nur mit Einschränkungen: Sie trete „in ihrem Wahlkreis“ nicht für die AfD an, sagte sie, oder sie plane dies „nicht zur nächsten Bundestagswahl“ oder „eigentlich nicht“. Sie sagt zwar: „Ich bin mit Leib und Seele CDU.“ Aber sie sagt auch dazu, sie könne niemals nie sagen. Sie wolle weiter Politik machen.

Die CDU in Sachsen sei in einer schwierigen Lage, sagt der Magdeburger Parteienforscher Hendrik Träger. Ähnlich wie die CSU in Bayern habe sie lange Jahre den Charakter einer Staatspartei gehabt und absolute Mehrheiten erzielt. Diese Zeiten seien aber seit 2004 vorbei – und mit der AfD sei rechts von der CDU eine politische Konkurrenz erwachsen. Die sächsische CDU ringe besonders um den richtigen Umgang damit, sagt Träger. „Man muss sich abgrenzen. Aber man darf für einen Wähler, der heute vielleicht AfD wählt, die Brücken zurück zur CDU nicht für alle Zeit abbrechen. Das ist der Spagat für die sächsische CDU“, sagt Träger.

Am Morgen nach der verlorenen Abstimmung twittert Kudla dann auch sarkastisch über ihre Partei: „Statt Lösungen für die #Zukunft zu suchen wendet sich #CDU #Leipzig lieber dem #Sport zu.“ Ein Seitenhieb an die Basis, die den einstigen Olympia-Radsportler und heutigen Stadtrat und Erzieher Jens Lehmann im zweiten Wahlgang zu Kudlas Nachfolger als Direktkandidaten gewählt hat. Zudem schrieb sie: „Ich stehe weiter zu meinen politischen #Überzeugungen.“ Ihre Chancen, noch auf einen aussichtsreichen CDU-Listenplatz gewählt zu werden, dürfte sie damit nicht vergrößert haben.

Einige Vertreter der Leipziger CDU machten in Hintergrundgesprächen ohnehin deutlich, dass man Kudla erst in zweiter Linie wegen der fragwürdigen Twitter-Sprüche abgewählt habe. Vielmehr seien die Christdemokraten im Wahlkreis mit ihrer siebenjährigen Arbeit im Bundestag unzufrieden. Die einstige Finanz-Bürgermeisterin im Leipziger Rathaus, die 2009 ins Berliner Parlament gewählt wurde, sei kaum präsent gewesen und eher als „Ja-Sagerin“ aufgefallen. Sie habe Berliner Entscheidungen von oben nach unten durchgestellt, statt wie etwa zur Griechenland-Rettung auch mal Nein zu sagen und Leipziger Anliegen nach Berlin zu tragen. So fragte ein Delegierter Frau Kudla am Wochenende etwas spöttisch: „Was glauben Sie, wie zufrieden sind die Parteifreunde mit ihrer Arbeit? Was haben Sie für Leipzig erreicht?“ Alle Ortsvereins-Vorsitzenden in ihrem Wahlkreis, so wird berichtet, hätten Kudla schon vor den Twitter-Tweets offen gesagt, dass man sie nicht mehr unterstützen wolle. Ihre überzogenen Sprüche hätten die Sache nur verschlimmert.

Anders erging es ihrem Kollegen im zweiten Leipziger Bundestags-Wahlkreis: Thomas Feist wurde mit 90 Prozent erneut nominiert. Am Freitag hatte zudem der CDU-Kreisverband Meißen Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein weiteres Mal zum Direktkandidaten in seinem Wahlkreis gekürt. Er erhielt 107 von 122 Stimmen. (mit dpa)