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In Deutschland geächtet, in Polen geachtet

Eine Technologie zum Abtrennen und Speichern von Kohlendioxid kommt wieder auf die Tagesordnung.

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© Matthias Weber

Von Tilo Berger

Turow/Zittau. Sie sind der Erste, der das sehen will“, sagt die freundliche Sekretärin im Vorzimmer des Zittauer Oberbürgermeisters und holt einen dicken Hefter aus dem Regal. Etwa 270 A-4-Seiten voller Erklärungen, Tabellen und Prognosen. Es sind die Antragsunterlagen des polnischen Energiekonzerns PGE (Polska Grupa Energetyczna) für den Bau eines neuen Kraftwerksblocks in Turow, nur einen Katzensprung entfernt von Zittau. Der Block soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 in Betrieb gehen und 450 Megawatt Strom liefern. Seit dem 7. und noch bis zum 27. April liegen die Papiere dafür in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen von Zittau, Bernstadt, Herrnhut, Ostritz, Mittelherwigsdorf, Oderwitz und Schönau-Berzdorf aus. Ebenfalls bis zum 27. April können Stellungnahmen oder Einwendungen beim Generaldirektor für Umweltschutz in Warschau vorgebracht werden – in deutscher Sprache.

Ganz neu ist das Vorhaben nicht. Zwischen 2009 und 2013 wurde schon einmal grenzüberschreitend das Für und Wider eines solchen Neubaus erwogen. Doch kaum war im Herbst 2013 die Genehmigung erteilt, kamen aus dem Marschallamt der Woiwodschaft Niederschlesien neue Vorgaben. Eine besagt, dass der Block außer Kohle auch Müll verbrennen soll. Und ein weiterer Unterschied zu den Papieren von damals besteht in drei Buchstaben, die in Lausitzer Ohren vertraut klingen: CCS.

Die Abkürzung steht für Carbon Capture and Storage und beschreibt eine Technologie, die das bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe frei werdende Kohlendioxid abtrennt und in unterirdischen Speichern lagert. Das Gas gilt als einer der Hauptschuldigen am weltweiten Klimawandel. Seit 2008 testete der Energiekonzern Vattenfall das CCS-Verfahren in einem eigens dafür gebauten Mini-Kraftwerk in Schwarze Pumpe und wies nach: Es funktioniert.

Vattenfall-Strategen entwickelten ihre Vision eines europaweiten Verbundes von Pipelines, die von vielen Kraftwerken flüssiges Kohlendioxid aufnehmen und zur Nordsee transportieren. In Hohlräumen unter dem Meeresboden sollte das Gas dann lagern. Auch im Osten Brandenburgs entdeckten Geologen Hohlräume, die sich als -Speicher geeignet hätten. Allerdings hatte Vattenfall nicht mit dem Gegenwind gerechnet, den das Vorhaben deutschlandweit entfachte.

Ende 2011 legten die Manager ihre Pläne für den Neubau eines CCS-Kraftwerks in Jänschwalde bei Cottbus frustriert in die Tiefen ihrer Schreibtische zurück. In Deutschland gebe es keine Bereitschaft für diese Technologie, konstatierte Vattenfalls enttäuschter Deutschland-Chef Tuomo Hatakka. Noch bis 2014 testete der Konzern das Verfahren in Schwarze Pumpe, dann verkaufte er die gesammelten Erkenntnisse an ein kanadisches Unternehmen und begann mit dem Abbau der Anlagen in dem Industriepark an der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze.

Und nun taucht die CCS-Technologie in den Papieren für den neuen Kraftwerksblock in Turow wieder auf. Im kommenden Jahr soll der Bau beginnen, ab 2020 soll Strom fließen – noch mit im Rauchgas. Aber bis 2030 könnte der Block mit der CCS-Technik nachgerüstet werden, blickt PGE voraus. Bis dahin wäre eine Pipeline machbar, die das Gas auch aus anderen Kraftwerken sammeln und nicht zur Nord-, sondern zur Ostsee transportieren soll. Dort könnte es am Meeresboden lagern.

Mit anderen Kraftwerken meinen die PGE-Planer wohl zuerst jenes, das der Konzern bis 2030 nahe der Grenzstadt Gubin errichten will. Dort schlummert rund eine Milliarde Tonnen Braunkohle im Boden, und die will das polnische Unternehmen fördern und verstromen. Aber von so einer möglichen Pipeline, die wahrscheinlich parallel zu Neiße und Oder verlaufen würde, wäre es auch nicht weit zu den Lausitzer Braunkohlekraftwerken. Vorausgesetzt, diese sind 2030 noch am Netz. Diese Entscheidung trifft außer der Bundesregierung, die den Rahmen für die Energiepolitik vorgibt, auch der neue Eigentümer der Lausitzer Tagebaue und Kraftwerke. Noch gehören die Anlagen zum Vattenfall-Konzern, aber das kann sich täglich ändern.

Unterm Strich versichern die Unterlagen, dass der neue Turower Block alle Grenzwerte beim Ausstoß von Schadstoffen unterbieten wird. Ein Planungsbüro in Breslau hat die Auswirkungen auf einen Umkreis von 145 Kilometern durchgerechnet. Und da der Block ganz im Osten des Kraftwerksgeländes entstehen soll, sei auf deutscher Seite der Neiße auch nicht mit Lärm-Belästigungen zu rechnen.

Auch das steht in den Unterlagen: Der Kühlturm für den neuen Block soll rund 133 Meter hoch werden. Und stündlich braucht die 450-Megawatt-Anlage 400 Tonnen Kohle aus dem benachbarten, gleichnamigen Tagebau.