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In der Fremde zu Hause

Das Dresdner Backhaus beschäftigt 120 Mitarbeiter aus 14 Nationen. Die Firmenchefin lebt Integration und nutzt das amerikanische Open-Book-Modell als Motivationsinstrument in ihrem Team.

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© Ronald Bonß

Von Ines Mallek-Klein

Wenn Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller den Raum betritt, dann mit so schnellen Schritten, dass ihr buntes Halstuch im Windzug flattert. Sie hat es eilig. In diesen Tagen besonders. Denn unten in der Backstube läuft die Produktion der Dresdner Rosinenstollen. Im Minutentakt werden die bis zu sechs Kilogramm schweren Gebäckstücke aus dem Ofen geholt, von den herausgebackenen Sultaninen befreit und dann zur ersten Ruhephase auf die Bretter gepackt. „Es sind immer die letzten Monate des Jahres, in denen wir die Ernte unserer Arbeit einfahren“, sagt die Unternehmerin, die Freunde nur Eli rufen.

Im Winter wird geschlemmt, zu Weihnachten ganz besonders. Entsprechend wichtig ist das Geschäft mit den Stollen. Rund 60 000 werden auch in diesem Jahr wieder das Dresdner Backhaus verlassen. Der sechs Monate haltbare Rosinenstollen kommt ab Ende September in den Ofen. Er wird immer besser, je länger man ihn lagert. Dafür sorgt auch eine dicke Schicht aus Butter und schneeweißem Puderzucker.

Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller ist die Chefin von 100 Mitarbeitern. Jetzt, kurz vor der Adventszeit, kommen noch einmal 20 Aushilfen dazu. Menschen aus 14 Nationen arbeiten in Backstube, Konditorei und Service. Sie kommen aus Japan, Spanien, Syrien, Marokko oder Kasachstan. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren sei das Team deutlich internationaler geworden, sagt Tino Gierig, zweiter Geschäftsführer und der Chef in der Backstube. Er ist zufrieden und glücklich über jede Hand, die zupacken kann. Die Verständigung klappt, wenn nicht immer gleich mit Worten, dann eben mit Gesten. Und Vorurteile im Team? Die gab es. „Natürlich, wir sind hier viele Leute, jeder hat seine eigene Meinung“, so der Bäckermeister. Aber die beste Möglichkeit, mit Legenden aufzuräumen, sei die Begegnung mit der Wirklichkeit.

Und so waren es am Ende auch die Mitarbeiter, die den beiden Firmenchefs eine Bewerbung um den Dresdner Integrationspreis 2017 vorschlugen. Geplant, getan. Doch nicht Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller füllte den Bewerbungsbogen aus, sondern die Beschäftigten selbst. Sie waren dann auch dabei, als Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert den zweiten Preis für besonderes unternehmerisches Engagement überreichte.

Warum es gerade in ihrem Unternehmen mit der Integration so gut klappt? „Vielleicht, weil ich die erste Immigrantin bin?“, sagt die 50-Jährige mit einem charmanten Lächeln. Sie weiß, wie es ist, wenn in der Fremde nicht nur offene Arme, sondern auch viel Skepsis und Hindernisse warten.

Es war 1993, als die damals 26-Jährige aus New York nach Dresden kam. Hier hatte 1825 ihr Ur-Urgroßvater Heinrich Jeremias Kreutzkamm in der Moritzgasse eine Konditorei eröffnet. Auch er, in Quedlinburg geboren, musste kämpfen. Um sein Bürgerrecht und die Konzession. Heinrich Jeremias Kreutzkamm starb im Alter von nur 50 Jahren. Sein Sohn Heinrich Julius führte das Geschäft fort. Er wurde zum Hoflieferanten und kaufte mit einer von König Albert bewilligten Hypothek ein Grundstück am Altmarkt, dem alten und neuen Sitz des Cafés Kreutzkamm. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wurde das Haus bei dem großen Bombenangriff zerstört. Fritz, der Urenkel des Firmengründers, geriet nach dem Krieg in amerikanische Gefangenschaft. Er war in seiner Gesellenzeit auch in England gewesen, hatte dort Englisch gelernt und füllte nun die Entlassungspapiere aus. Irgendwann waren auch seine eigenen mit dabei.

Die Familie hatte währenddessen im Erzgebirge Zuflucht gesucht und reiste noch Ende 1945 zu Fritz Kreutzkamm nach Bayern. Drei Jahre später hatte er einen Investor gefunden, der den Start der Stollenproduktion ermöglichte. Es war nicht leicht, Rohstoffe zu beschaffen, weiß Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller aus den Erzählungen. Aber hier in Dresden wäre alles noch viel schwerer gewesen. Auch deshalb blieb ihr Vater in München, eröffnete dort 1954 in der Maffeistraße das Café Kreutzkamm und errichtete ein neues Produktionsgebäude. Der Wunsch von Fritz Kreutzkamm, irgendwann an den sächsischen Firmensitz zurückzukehren, ging zu seinem Lebzeiten nicht mehr in Erfüllung. Er starb 1981. Aber schon 1990, kurz nach der Wende, stand für seine Witwe Friedericke Kreutzkamm fest, dass man in Dresden die Caféhauskultur wieder aufleben lassen möchte. Das Café Am Altmarkt wurde wiedereröffnet, und in dem Striesener Backhaus fand man einen lokalen Lieferanten für Eierschecke und Co.

1993 geriet das Backhaus in finanzielle Nöte. Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller hatte gerade in New York ihr Betriebswirtschaftsstudium beendet, wollte eigentlich noch einen Master anschließen. Doch stattdessen folgte der Wechsel nach Dresden. Er war eine Herausforderung. Denn in der Stadt stand nicht vielen der Sinn nach Sahnetorten und handverziertem Gebäck, während die Treuhand reihenweise Betriebe abwickelte und sich lange Schlangen vor dem Arbeitsamt bildeten. Und auch in der Bäckerbranche selbst hatte Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller keinen leichten Stand als Frau von Mitte zwanzig in einem von Männern dominierten Berufsstand.

Sie machte und macht vieles anders als ihre Kollegen. Die Rechte für den Internetauftritt www.dresdnerstollen.de hat sich die Betriebswirtin schon gesichert, da haben andere noch gar nicht gewusst, was das ist, der Onlinehandel. Aber Kreutzkamm und auch die Dresdner Backhaus GmbH waren immer schon international unterwegs, haben ihr Gebäck, ihre Pralinen und Stollen in die USA und nach Japan verkauft.

Hier, in der Ferne, ist Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller auch immer wieder auf der Suche nach neuen Ideen, neuen Geschäftsführungsmodellen. Und sie hat sie gefunden, unter anderem in der Führung nach dem Open Book Modell. Seit 2011 stehen alle wichtigen betrieblichen Kennzahlen des Unternehmens den Mitarbeitern zur Verfügung. Sie sehen so, schwarz auf weiß, wo Budgets eingehalten werden und wo die Ausgaben höher sind als geplant. „Ich bin ein Zahlenfetischist. Ich stehe früh gar nicht auf, ohne dass ich den Kontostand kenne“, sagt die Unternehmerin. Da die Prozesse weitgehend digitalisiert sind, reicht ein Blick in das IPad. Und er offenbart gerade in den letzten Monaten nicht nur Erfreuliches. Die Kosten für die Zutaten, unter anderem für die Butter, sind explodiert. Man kann die Preise anheben. Bei den Weihnachtsstollen hat das Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller auch getan und prompt erboste E-Mails von einigen Kunden erhalten. „Das ist nicht schön, aber dafür bieten wir keine Fabrikware, sondern echtes Bäckerhandwerk“, so die Unternehmerin. Für sie ist der Konkurrent nicht der Bäckerkollege drei Straßen weiter, sondern der Discounter um die Ecke, bei dem der mit bis zu 20 Zusatzstoffen durchschnittlich sieben Monate gelagerte Tiefkühlteigling in den Ofen geschoben wird. Um sich behaupten zu können, muss man überzeugen, mit Qualität. Und deshalb hat die Innovationsbereitschaft von Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller ihre Grenzen, in der Backstube zum Beispiel. Dort gibt es energiesparende Öfen, aber eben auch noch den traditionellen Puddingkocher. „Wenn Handwerk Handwerk bleiben soll, dann können wir hier nicht mehr sehr viel effizienter werden“, sagt die Chefin.

Anders sieht das bei der Warenauslieferung aus. Dort, wo vor einigen Monaten noch mit Lieferscheinen kommissioniert wurde, zeigen heute rot, grün oder gelb blinkende Lampen an, wie viele Roggenbrote, Baguettestangen oder Laugenbrötchen in die blauen Lieferkisten gepackt werden müssen. Die Zahl der Lieferfehler sei deutlich zurückgegangen und damit auch die Zahl der Rückläufer, bestätigt Bäckermeister Tino Gierig.

Das Dresdner Backhaus beweist: Handwerk und Innovation passen hervorragend zusammen. Auch wenn Innovation immer auch Veränderung bedeutet, am Ende „macht sie uns allen das Leben leichter“, ist Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller überzeugt. Deshalb wird sie weiter nach neuen Wegen suchen, ohne die alten Pfade gänzlich zu verlassen.