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In den Fängen von Crystal Meth

Um den Spagat zwischen Familie und Job zu schaffen, griff eine Mutter immer öfter zur Droge. Ein Teufelskreis.

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© dpa

Von Julia Vollmer

Friedlich schlummert Clara in ihrem Bettchen. Am Handgelenk trägt sie das typische Bändchen mit dem Namen, das alle Neugeborenen nach der Geburt bekommen. Clara ist das dritte Baby von Beate Mirau (Name von der Redaktion geändert). Den Ärzten im Krankenhaus Neustadt war aufgefallen, dass Linda nur dreimal in den neun Monaten zur Schwangerenvorsorge war. Im Mutterpass fanden sie Eintragungen über zwei weitere Schwangerschaften. Auf die Frage, wie es den zwei Geschwisterkindern geht, antwortete die Mutter mit Tränen in den Augen, dass diese bei Pflegefamilien leben. Nach langen und intensiven Gesprächen mit den Medizinern um Oberarzt Norbert Lorenz vertraut sich die Mutter ihnen an. Sie ist abhängig von der Droge Crystal.

Nach der Geburt führen die Mediziner einen Drogentest bei Mutter und Kind durch. Ergebnis: positiv, bei beiden. Schon mit 19 Jahren sammelte die heute 29-Jährige die ersten Erfahrungen mit illegalen Substanzen. Die Einstiegsdroge war, wie so oft, Cannabis. Beate Mirau begann nach dem Abitur eine Ausbildung, als sie ihr erstes Kind erwartete, brach sie die Lehre jedoch ab. Den Vater ihres ersten Sohn lernte sie auf einer Party kennen, rauchte mit ihm zusammen Marihuana. Ab und zu nahm sie auch Pillen. Als das Baby auf die Welt kam, wurde es vom Jugendamt in Obhut genommen und in einer Pflegefamilie untergebracht. Die Dresdnerin fiel in ein tiefes Loch, Drogen bestimmten bald den Alltag.

Ein Jahr später war sie wieder schwanger, von einem neuen Mann. Das Kind blieb erst mal bei ihr. Diesmal wollte sie alles anders, alles besser machen. Sie arbeitete in einem Modeladen, nach zwei Jahren eröffnete sie ihr eigenes kleines Café. Anfangs stimmten die Umsätze, sie konnte sich eine größere Wohnung leisten. Als die Rechnungen sich stapelten und weniger Gäste kamen, griff Beate Mirau zum Cannabis.

Bald arbeitete sie 14 Stunden und länger am Tag. Neben ihrer Arbeit im Café, sortierte sie nachts Lebensmittel im Supermarkt ein, um über die Runden zu kommen. Irgendwann empfahlen ihr Freunde das erste Mal Crystal, die Droge, die angeblich wach und leistungsfähiger macht. Beim ersten Mal arbeitete sie zwei Tage durch. Sie schlief nicht und ging nach der Arbeit trotzdem noch auf eine Party. Vermeintlich mehr schaffen und weniger schlafen – diese Motivation, Crystal zu nehmen, beobachtet Ulrich Zimmermann immer öfter bei seinen Patienten. Zimmermann ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

„Viele meiner Patienten arbeiten in der Gastronomie, sind ständig unter Zeitdruck, der Gast drängelt, die Umsätze müssen stimmen“, erzählt er. Viele arbeiten bis in die Morgenstunden in den Bars, dürfen sich die Müdigkeit nicht anmerken lassen. „Crystal lässt die Konsumenten vermeintlich besser funktionieren, ob bei der Arbeit am Fließband oder bei langen Autofahrten in der Nacht“, so Zimmermann. Komplexe Arbeiten am Computer oder am Schreibtisch würde die Droge aber nicht fördern. Um besser zu funktionieren beim Spagat zwischen Job und Familie, greifen vor allem Frauen immer häufiger zu der Substanz. Grundsätzlich kommen seine Patienten aus allen sozialen Schichten. Doch es seien vor allem die Betroffenen aus sozial schwachen Kreisen, die täglich Drogen nehmen. Anderen „gelänge“ es, den Konsum auf einzelne, stressige Tage zu beschränken. Crystal verursache keine körperlichen Entzugserscheinungen.

Zimmermann beobachtet, dass es viele Crystalsüchtige schaffen, zu Beginn der Schwangerschaft die Finger von der Droge zu lassen. Nimmt dann im achten oder neunten Monat der Druck mit Ämtergängen und der Angst vor der Geburt zu, werden viele doch wieder rückfällig.

Auch Beate Mirau wurde wieder und wieder rückfällig. Sie konnte das Café nicht mehr halten, bald darauf verlor sie ihre Wohnung. Das Jugendamt nahm auch ihr zweites Kind in Obhut. Vor einem Jahr lernte sie einen neuen Partner kennen. Bald darauf war sie wieder schwanger. Im Krankenhaus Neustadt erblickte ihre Tochter das Licht der Welt. Nach dem Gespräch mit Oberarzt Norbert Lorenz und einer Psychologin war die 29-Jährige erleichtert, sich endlich jemandem anvertraut zu haben. Vielleicht ist es doch gut, dass die Ärzte nun ihre Geschichte kennen. Sie kann sich eine Entwöhnungsbehandlung, zusammen mit ihrer Tochter gut vorstellen. Einfach wird dieser Weg ganz sicher nicht. Aber sie will es schaffen: für ihre Tochter.