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Impfberatung wird zur Pflicht

Wie stark dürfen sich Kindertagesstätten in private Entscheidungen der Eltern einmischen? Diese Frage treibt derzeit viele Kita-Mitarbeiter in Dresden um. Denn sie müssen Verweigerer melden.

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© dpa

Von Juliane Richter

Wie stark dürfen sich Kindertagesstätten in private Entscheidungen der Eltern einmischen? Diese Frage treibt derzeit viele Kita-Mitarbeiter um. Denn nach einem neuen Gesetz müssen Kitas fortan an das Gesundheitsamt melden, wenn Eltern sich nicht über die empfohlenen Schutzimpfungen haben beraten lassen. Am 7. Juli soll der Bundesrat das Gesetz verabschieden, sodass es noch im Sommer in Kraft treten könnte. Laut Bundesgesundheitsministerium sind die kommunalen Kitas, die freien Träger und private Einrichtungen betroffen. Tageseltern bleiben hingegen außen vor.

Beim städtischen Amt für Kindertagesbetreuung sieht man der Gesetzeseinführung gelassen entgegen. Denn Eltern, die ihr Kind in einer kommunalen Kita anmelden, müssen schon jetzt vorab ein Formblatt vom Kinderarzt ausfüllen lassen. Darauf vermerkt der Arzt, ob das Kind alle empfohlenen Impfungen erhalten hat oder zumindest jene Beratung – zu der die Ärzte verpflichtet sind – erfolgt ist.

Laut Stadtsprecher Karl Schuricht beträgt die Rücklaufquote bereits rund 100 Prozent, sodass „Meldungen an das städtische Gesundheitsamt nur im Einzelfall zu erwarten sind.“ Sollte in Zukunft ein solcher Fall eintreten, ist laut Schuricht kein Schema F, etwa über die Verhängung eines Bußgeldes, vorgesehen. Jeder Fall wird einzeln geprüft. Im Gesetzentwurf selbst steht, dass das Gesundheitsamt die Eltern dann zu einer Beratung laden kann. Mutter Karin Rücker begrüßt den neuen Vorstoß zur Meldepflicht. Ihr einjähriger Sohn Fritz hat sämtliche Impfungen erhalten, die von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen werden. Die 30-jährige Medizinstudentin hat sich intensiv informiert. „Für mich überwiegen die Risiken einer möglichen Erkrankung deutlich die Risiken einer Impfung“, sagt sie. Sie vertraut den Experten und Studien, die zu den Impfempfehlungen beigetragen haben. „Ob es wieder eine Impfpflicht wie zu DDR-Zeiten geben sollte, kann man kontrovers diskutieren. Aber zumindest sollte jeder die Pflicht haben, sich zu informieren. Einfach aus der gesellschaftlichen Verantwortung heraus den anderen gegenüber.“

Auch Kitas drohen Bußgelder

Während die Stadt ihren Fahrplan für die Umsetzung der neuen Vorschriften schon hat, herrscht bei einigen freien Trägern noch Verwirrung. Viele haben von dem Gesetz gehört, wissen aber nicht, wie sie es realisieren sollen. Margit Hockauf vom Verbund Leubener Kindertagesstätten verfolgt das Thema gespannt. Bisher fragen die Erzieher in den beiden Einrichtungen des Trägers beim Aufnahmegespräch ab, ob die Kinder geimpft sind. Inwieweit eine ärztliche Beratung erfolgt ist, wissen sie nicht. „Wenn das Gesetz kommt, hoffen wir auf verbindliche Vorgaben. Diese gibt meist das Landesjugendamt heraus“, sagt sie. Das dafür zuständige Sozialministerium bestätigt, dass die Kitas nach dem Gesetzesbeschluss durch die Gesundheits- und Jugendämter informiert werden sollen. Dann wird ihnen auch noch einmal erklärt, dass sie ebenfalls ein Bußgeld erhalten können, falls sie ihrer Meldepflicht nicht nachkommen. Doch mehrere Dresdner Kita-Leiterinnen haben Bauchschmerzen mit der Meldepflicht und dem damit verbundenen Datenschutz. Grit Abohani vom Waldorfkindergarten Strehlen hofft auf einen „klaren Fahrplan von der Stadt“. Denn sie möchte niemanden ihrer Eltern „verpetzen“. In Waldorfkindergärten und -schulen werden anteilsmäßig häufiger Kinder betreut, die nicht oder unvollständig geimpft sind. Nach den Erfahrungen der Betreuer setzen sich deren Eltern aber besonders intensiv mit dem Thema auseinander.

Häufig sind diese Familien Patienten von anthroposophisch ausgerichteten Ärzten wie Claudia Morawe-Weisheit. Diese Ärzte sind nicht generell gegen das Impfen, sondern befürworten individuelle Entscheidungen je nach Alter, Gesundheitszustand oder möglichen Unverträglichkeiten des Kindes. „Der Bedarf der Eltern an einer Impfberatung ist sehr groß und stetig gestiegen“, sagt Morawe-Weisheit. Eine vollumfängliche Aufklärung sei in einer Einzelsprechstunde im Praxisalltag aber nicht zu leisten. Eine solche intensive Beratung wird jedoch vom Bundesgerichtshof gefordert. Laut einem Urteil müssen Ärzte auch „über äußerst seltene Risiken“ aufklären.

Morawe-Weisheit veranstaltet deshalb gemeinsam mit einem Kollegen einmal im Monat Informationsabende zum Impfen. Unter dem Dach der Gesundheitsinitiative Dresden kommen dann bis zu 50 Eltern zusammen. „Wenn gehäuft Erkrankungen auftreten, wie 2015 bei der Masernwelle in Dresden, steigt das Interesse noch einmal“, sagt sie. Mit Eltern, die sich überhaupt nicht für das Thema interessieren und somit auch keine Beratung wollen, hatte sie bisher jedoch keinen Kontakt.