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Immer mehr Kinder haben Diabetes

Niemand weiß, was die Krankheit auslöst. Die Oberlausitz-Kliniken helfen mit, es zu erforschen.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Sophie hat in letzter Zeit ständig Durst. Und ständig muss sie zur Toilette. Die Zehnjährige nimmt ab, fühlt sich müde und schlapp. Der Arzt stellt einen stark erhöhten Blutzuckerspiegel fest. Noch am gleichen Tag muss Sophie ins Krankenhaus und bekommt ihre erste Dosis Insulin.

Zwei Wochen lang wird das Mädchen jetzt auf der Kinderstation der Oberlausitz-Kliniken in Bautzen auf ihr Leben mit dem Diabetes-Typ 1 eingestellt – auf die täglichen Insulin-Spritzen, auf das unbarmherzige Kohlenhydrate-Zählen, auf eine Umstellung aller Essens- und Lebensgewohnheiten. Jeden Tag kommen auch Sophies Eltern in die Klinik und lernen mit.

In jedem Alter kann Diabetes ausbrechen

„So eine Diagnose verändert von heute auf morgen den Lebensalltag einer Familie komplett“, weiß die Bautzener Kinderdiabetologin Ursula Schramm, die Sophie ab jetzt betreut. Die Zehnjährige ist das elfte Kind in diesem Jahr, das in den Oberlausitz-Kliniken auf ein Leben mit Diabetes eingestellt werden muss. Ihr Fall ist ganz typisch, sagt Ursula Schramm. Bei Kindern im Alter zwischen 10 und 14 Jahren sind die Neuerkrankungen am häufigsten. Aber auch in jedem anderen Alter kann Diabetes ausbrechen. Die jüngste der kleinen Patienten in Bautzen ist erst anderthalb Jahre alt.

Ab jetzt wird Sophie regelmäßig zur Diabetessprechstunde in die Bautzener Kinderambulanz kommen. Ein ganzes Team wird sich hier um sie kümmern: neben den Ärzten und Kinderkrankenschwestern gehören auch eine Diabetesberaterin, ein Psychologe, eine Ernährungsberaterin und eine Sozialberaterin zum Team. Es sind inzwischen über 100 betroffene Kinder und Jugendliche aus der ganzen Region, die hier betreut werden.

Genetisches Risiko ist vorhanden

Die Zahl der Kinder, die an Diabetes erkranken, wächst stetig. „Das macht uns große Sorgen“, sagt Ursula Schramm. Denn niemand weiß, woran das liegt und was genau die Krankheit bei Kindern auslöst. Virusinfekte als Auslöser sind bekannt, Schutzimpfungen sind es nach heutigen Erkenntnissen nicht, sagt die Kinderärztin. Auch in der Lebensweise der Kinder sei die Antwort auf die Frage nicht zu finden.

„Wir wissen aber, dass es ein genetisches Risiko gibt“, sagt Ursula Schramm. Von denjenigen, die das Risiko-Gen in sich tragen, erkranken rund fünf Prozent. Der Diabetes-Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, die sich so beschreiben lässt: Irgendwann löst irgendetwas einen Prozess aus, bei dem Autoantikörper alle Körperzellen zerstören, die Insulin produzieren.

„Unsere große Hoffnung sind Präventionsstudien, durch die herausgefunden wird, was diesen Prozess auslöst und was ihn aufhalten oder stoppen könnte“, sagt Ursula Schramm. Ziel dieser Studien ist es, den Ausbruch der Krankheit zu verhindern oder zumindest ihren Verlauf günstig zu beeinflussen. Wissenschaftler des Instituts für Diabetesforschung am Münchner Helmholtz-Zentrum arbeiten gerade an einer neuen Studie zur Früherkennung von Risiko-Kindern. Und die Oberlausitz-Kliniken helfen dabei mit. Die Bautzener Frauenklinik nimmt seit Kurzem an dieser Pilotstudie der Helmholtz-Forscher teil. „Wir glauben, dass es wichtig ist, Kinder, die das Krankheitsrisiko in sich tragen, so früh wie möglich zu finden“, sagt Ursula Schramm. „Der nächste Schritt ist es dann, Behandlungsmöglichkeiten zu finden, die den Autoimmunprozess gar nicht erst in Gang kommen lassen“, sagt sie.

Test am zweiten Lebenstag

Alle Mütter von Neugeborenen, die das möchten, können an der Studie teilnehmen und ihre Kinder auf das Risiko-Gen testen lassen. Der Test erfolgt bei den Neugeborenen im Rahmen der routinemäßigen Blutuntersuchung auf Stoffwechsel-Krankheiten am zweiten Lebenstag. Für die Kinder ist das keine zusätzliche Belastung.

„Ich hoffe sehr, dass uns die Forschungen weiterbringen“, sagt Ursula Schramm. Die 56-Jährige würde das gern noch in ihrer Dienstzeit als Ärztin erleben. Sie weiß ja, was jetzt auf die kleine Sophie und ihre Familie zukommt. Das Leben der Zehnjährigen wird sich auf die Krankheit einstellen müssen. Das Team der Bautzener Kinder-Diabetes-Ambulanz wird ihr und ihrer Familie dabei helfen. So wie auch den 100 anderen diabeteskranken Kindern und ihren Familien im Landkreis.