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Immer klare Kante

Fische, Frauen, Fußballnachwuchs – Horst Hrubesch kann offenbar mit allen. Nur bei Dynamo in Dresden ist der Verbandstausendsassa einst gescheitert.

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© SZ-Archiv

Von Tino Meyer

Müsste man den Mann auf einen Satz reduzieren, dann geht der so: „Manni Banane, ich Kopf, Tor!“ Gesagt hat das Horst Hrubesch, das sogenannte Kopfballungeheuer der 1980er Jahre, als der Fußball in Deutschland noch mehr gekämpft als gespielt wurde und es der Hamburger SV mit dieser simplen Erfolgsformel bis zum Europapokalsieg schaffte: Flanke von Manfred Kaltz auf den Kopf des Mittelstürmers Hrubesch – und Tor!

Die Zeit in Dresden, sagt Horst Hrubesch, „war nicht so schlecht, aber hätte besser laufen können“.
Die Zeit in Dresden, sagt Horst Hrubesch, „war nicht so schlecht, aber hätte besser laufen können“. © dpa/Jan Woitas

Hrubesch war einer der ganz großen Kämpfer, der eben auch so geredet hat: einfach, direkt, das Herz auf der Zunge, immer klare Kante. Und das hat sich der bald 67-Jährige bis heute bewahrt. Nur eines ist inzwischen anders: Die öffentliche Wahrnehmung des gelernten Fliesenlegers, der vor seinem Durchbruch als Profifußballer zudem sechs Jahre als Dachdecker arbeitete. Die Ansicht, Hrubesch habe mindestens einen Kopfball zu viel in seiner zweifellos erfolgreichen Karriere gemacht, ist jedenfalls längst überholt.

Er, der als Verbandstrainer die U 19 und die U 21 zum EM-Titel führte, mit der U 21 2016 Olympiasilber gewann und dabei mit seiner ehrlichen wie einfühlsamen, geradlinigen Art aus der Zeit gefallen scheint, quittiert solches Schubladendenken nicht einmal mehr achselzuckend. „Ich hab mich jetzt nicht umgestellt. Ich bin kein Typ, der sich irgendwo verbiegt“, sagt Hrubesch.

Dynamo hat nicht gepasst

Eine perfekte Selbstbeschreibung ist das, obwohl er die allein auf seine neue Aufgabe bezogen wissen will. Als Allzweckwaffe des Deutschen Fußball-Bundes hat er sich einen Namen gemacht. Doch mit dem Job als Bundestrainer der Frauen, wenn auch nur übergangsweise, verblüfft dieser Hrubesch nun einmal mehr.

Das fängt schon mit der Erklärung für die Entlassung von Vorgängerin Steffi Jones vor drei Wochen an. Es habe nicht zusammengepasst, meint er und verweist auf den FC Bayern München, der sich von Carlo Ancelotti getrennt hat und nun unter Jupp Heynckes wieder erfolgreich ist. „Ich weiß ja selbst als Trainer, wie das ist. Ich habe auch schon Vereine trainiert, da hat es nicht so gepasst“, erzählt er – und meint Dynamo Dresden.

Im November 1994 hat er den damaligen Bundesligisten übernommen, doch in fünf Spielen nur 2:8 Punkte geholt. Nach drei Monaten im Amt wird Hrubesch schon wieder entlassen. Und Dynamo ist keine Ausnahme. Bei keiner der sieben Vereinsstationen bleibt er länger als ein Jahr. Doch auch die Diskrepanz zu seiner umso erfolgreicheren Arbeit seit fast 20 Jahren für den Verband kann er erklären – und stellt die Gegenfrage. „Was ist erfolgreich? Ich muss nicht unbedingt um Titel spielen. Für mich geht es darum, die Träume junger Spieler zu erfüllen und ihnen auf ihrem Weg behilflich sein zu können. Das ist ein Traumjob“, entgegnet Hrubesch.

Fairerweise, sagt er, müsse man zudem sehen, welche Vereine er zu Beginn seiner Trainerlaufbahn trainiert habe. „Wenn Sie Bayern München als Einsteiger kriegen, sind Sie schon mal auf der richtigen Seite. Aber wenn Sie mit Rot-Weiß Essen als Aufsteiger gegen den Abstieg spielen oder kurz nach der Wende nach Dresden gehen, sind sie höchstwahrscheinlich auf der falschen Seite gewesen. Wenn man diese Angebote kriegt, ist die Frage, ob man das macht oder nicht. Dann muss man halt auch damit leben, wenn es nicht passt“, sagt Hrubesch.

Er kann hervorragend damit leben. Die Rolle als Nachwuchstrainer scheint prädestiniert für einen wie ihn, der die große Bühne nicht braucht, der viel lieber in der Natur unterwegs ist, mit seiner Frau Angelika eine Zeit lang Pferde züchtete, das Angeln liebt und mangelns Fachliteratur ein Buch geschrieben hat. „Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“ heißt das Werk aus dem Jahr 1980, das restlos ausverkauft ist und auch in Skandinavien verlegt wurde.

Am meisten aber kann sich Hrubesch für den Verband begeistern. „Ich sage, dass dieser DFB genial ist, so wie der Laden aufgestellt ist – auch wenn er manchmal lahm und behäbig ist. Aber was alles dranhängt: Talentförderprogramm, Spielmobil in den Landesverbänden bis hin zu den Nachwuchsnationalmannschaften. Das gibt es nirgendwo auf der Erde besser“, meint der Verbandstausendsassa, der zuletzt als Interimssportdirektor beim DFB gearbeitet hat.

Egal, wann und wo jemand gebraucht wird, Hrubesch kann offenbar alles. „Ich sehe mich eigentlich als Trainer, vor allem aber als Angestellter des DFB und neige dazu, Verantwortung zu übernehmen. Die Frage ist halt immer, traue ich mir das zu, kann ich’s, bin ich davon überzeugt. Wenn einer kommt und fragt, ob ich Präsident werden will, sage ich nein“, so Hrubesch.

Ins Amt des Frauen-Bundestrainers hat er sich deshalb selbst gehievt. „Bevor wir einen Schnellschuss tun, mache ich es erst mal. Dann können wir in Ruhe gucken“, erklärt Hrubesch die überraschende Personallösung. Doch spätestens vorm WM-Qualifikationsspiel an diesem Samstag in Halle gegen Tschechien drängt sich die Frage auf: Kann er das denn auch?

Jetzt zuckt der gebürtige Westfale mit dem norddeutschen Gemüt wirklich mit den Schultern, faltet die Hände und lächelt. „Der Platz ist genauso groß wie bei den Männern. Es gibt Abseits, man kann auch Hand spielen, das ist alles das Gleiche“, sagt Hrubesch, den Wegbegleiter als bodenständig beschreiben – und DFB-Präsident Reinhard Grindel als Pfundskerl.

Verlässlichkeit ist womöglich das Wichtigste für den erfolgsverwöhnten, aber momentan schwer kriselnden deutschen Frauenfußball und Hrubesch, so komisch das klingen mag, daher vielleicht sogar eine Idealbesetzung. „Ich versuche, die Spielerinnen mitzunehmen mit meiner Art, weil ich einfach glaube, wenn jemand Spaß an seiner Arbeit hat und mitgenommen wird, ist er gut“, meint Hrubesch.

Die Platzordnung beim Essen hat er verändert, Trainer und Mannschaft sitzen nun nicht mehr getrennt. Außerdem wird viel geredet. „Ich habe festgestellt, mit gesundem Menschenverstand und miteinander kommunizieren kommt man auch da hin, wo man will. Ich muss das Rad nicht neu erfinden“, sagt er.

Probleme machen die Vornamen

Trotzdem sind einige Dinge für ihn in diesen Tagen anders, und das fängt mit der Unterscheidung der Spielerinnen an. Bei Lisa, Lena, Lea und Lina kann man schon mal durcheinander kommen. Noch schwieriger machen es allerdings die Frisuren, wie Hrubesch nach den ersten Trainingseinheiten mit der Mannschaft festgestellt hat. Im Spiel hochgesteckt, mit Bändern und Spangen drapiert, bei den Mahlzeiten jedoch plötzlich offen wallend.

Doch die Stimmung ist nach den Eindrücken des Trainings bestens, die Spielerinnen fühlen sich wohl. Sogar Duzen dürften sie den Horst. „Ich hab das den Mädels freigestellt. Aber man kann das ja ein bisschen umgehen. Trainer reicht mir eigentlich“, meint Hrubesch und betont: „Wir haben einen guten Draht gefunden, und auf diesem Weg werden wir erfolgreich sein.“

Indes läuft die Suche nach einem Nachfolger oder besser der Nachfolgerin. Als Wunschkandidatin gilt Martina Voss-Tecklenburg, ehemalige Nationalspielerin und jetzige Auswahltrainerin der Schweiz. Länger als die vereinbarten zwei Spiele Bundestrainer zu bleiben, will Hrubesch aber nicht ausschließen. Auch wenn er sich dabei verhaspelt: „Ich schließe erst mal aus, dass ich die beiden Spiele mache. Sonst schließe ich gar nichts aus, das habe ich noch nie gemacht.“