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Immer Gewehr bei Fuß

Publizist Sebastian Hennig hat sich vom Kreis Meißen aus den Osten erlaufen. In seinem Buch wird scharf geschossen.

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© privat

Von Peter Anderson

Meißen. Der Mann sucht Bodenhaftung. Für sein 2015 erschienenes erstes Werk „Pegida – Spaziergänge über den Horizont“ ist der Radebeuler Maler und Publizist Sebastian Hennig allmontaglich mit Lutz Bachmanns Anhängern durch Dresden gezogen. Autor und Literaturwissenschaftler Michael Bittner schrieb daraufhin von einem „bemerkenswert ungeschönten Einblick in die Gedankenwelt eines intellektuellen Pegida-Anhängers“. Nun liegt von Hennig ein Sammelband mit Wanderreportagen aus Sachsen und Brandenburg vor.

„Unterwegs in Dunkeldeutschland“ wird vom neu gegründeten Dresdner Verlag C. C. Meinhold & Söhne als Antwort auf eine Reihe von Medienberichten und Studien beworben, welche Sachsen und andere Teile Ostdeutschlands als Heimat rückständiger, rechtsgedrehter Modernisierungsverlierer schildern. Im Ankündigungstext heißt es: „Die dreiste Volksbeschimpfung ist in einem anderen Sinne als dem gemeinten bitter wahr, denn außerhalb von Semperoper und Frauenkirche ist es finster in Sachsen.“ In sterbenden Dörfern werde nur noch für Altgold-Ankauf geworben.

Als eines seiner Vorbilder benennt Hennig den heute vergessenen sozialdemokratischen Reiseschriftsteller Edgar Hahnewald. Auch auf den Urvater aller sächsischen Wanderer Johann Gottfried Seume bezieht er sich gern. Nichts, aber auch gar nichts hat der Radebeuler dagegen mit gefälligen Dampf-Plauderern wie Manuel Andrack oder Hape Kerkeling gemein. Immer Gewehr bei Fuß wird in „Dunkeldeutschland“ publizistisch scharf geschossen. Der universalwissende Vielschreiber und Schnellredner liefert eine gewohnt provokante Abrechnung mit allem, was auch nur annähernd nach Mainstream riecht: Ein Wegstück auf dem Elberadweg hält als Anlass her, das Radfahren als „fortlaufend abgewendetes Hinstürzen“ zu verteufeln. Eine Drei-Bogen-Betonbrücke im Landkreis Elbe-Elster dient als Vorlage, um zu sinnieren, dass „die schreiende Häßlichkeit moderner Architektur keine Notwendigkeit, sondern pure Ideologie ist.“ Bis zur Erschöpfung strapaziert Hennig sein Credo, stets eine Ansicht zu vertreten, welche möglichst konträr zum herrschenden Meinungsbild steht. Gleichzeitig eröffnet er auf diese Weise oft überraschende und mitunter verstörende Denk-Horizonte.

Irritierend dürfte auf unvorbereitete Leser der wiederkehrende Rekurs auf „das Reich“ oder „Deutsche Reich“ wirken. Der Buchautor schreibt regelmäßig für die Junge Freiheit und andere Periodika der Neuen Intellektuellen Rechten. Der Begriff „Reich“ ist bei ihm wohl als kulturpolitische Vision und imaginärer Kraftquell zu verstehen, in einer ähnlichen Richtung wie der Terminus vom „geheimen Deutschland“ bei dem jüdischstämmigen Historikers Ernst Kantorowicz und seinem Dichterfreund Stefan George.

Abgesehen von derlei Ausflügen gelingt es Sebastian Hennig mit seinem Werk ein genau beobachtetes Bild des ostdeutschen Dorfes zu zeichnen. Der Zusammenbruch 1945 und Umbruch 1990 haben jenseits der alle Jugendkraft aufsaugenden Städte ein oft weiträumig seines geistigen Adels beraubtes Land hinterlassen. Denkmale verfallen, die Erinnerung an kulturhistorische Großtaten verlischt, Gasthäuser sind maximal als Spielhallen erhalten. Und doch ist aller Tage im Osten noch nicht Abend. Selbst in diesem Dunkeldeutschland trifft der Wanderer auf große und kleine Lichtgestalten – verschiedener Couleur.