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Immer für andere da

Charlotte Vogel hat sich in den hundert Jahren ihres Lebens viel um ihre Mitmenschen gesorgt. Dafür ist sie öfter umgezogen.

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© André Braun

Von Cathrin Reichelt

Roßwein. Selbstbewusst sagt Charlotte Vogel zu ihren Gästen: „Im nächsten Jahr um diese Zeit sehen wir uns wieder.“ Und sie fügt hinzu, dass sie 105 werden wolle. Am Montag feierte die rüstige Seniorin aber „erst einmal“ ihren 100.  Geburtstag. Zum Gratulieren gaben sich die Gäste die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Abwechselnd läuteten die Türklingel und das Telefon.

Charlotte Vogel wohnt noch in der eigenen Wohnung. Dort wird sie von ihrer Nichte Thea Scholz und deren Mann Günther versorgt. „Das sind meine Pflegeeltern“, sagte die Hundertjährige schmunzelnd. Sie legt nach wie vor sehr viel Wert auf ein gepflegtes Aussehen sowie Ordnung und Sauberkeit in der Wohnung.

Charlotte Vogel freut sich über die familiäre Unterstützung und die Hilfe der Schwestern des Pflegedienstes Hummitzsch. Doch sie schätzt auch die Ruhe. Dann nimmt sie die Zeitung zur Hand. Täglich liest sie den Döbelner Anzeiger und die Bildzeitung. Sie will informiert sein. Aber nicht nur über das lokale Geschehen. Mehrmals pro Woche bringen ihr die Verwandten Illustrierte mit. „Sie kennt sich bestens in den Königshäusern aus“, sagen sie. Zur Lektüre steht ab und an auch ein Piccolo auf dem Tisch.

Charlotte Vogel ist im Roßweiner Wolfstal geboren und aufgewachsen. Nach dem Abschluss der Schule hat sie in einem Unternehmen gearbeitet, das Zigarren und Zigaretten herstellte. Die Liebe führte sie nach Danzig, wo sie sieben Jahre lang lebte. „Aber mein erster Mann ist im Krieg geblieben“, erzählt sie. Mit ihrem zweiten Mann war sie mehr als 25 Jahre verheiratet. Diese Zeit verbrachten die beiden in Marbach. Selbst hatten beide keine Kinder. Dafür kümmerte sich Charlotte Vogel häufig um den Nachwuchs von Thea Scholz und deren Zwillingsschwester Christa Nicolai. Die Großnichten und -neffen waren auch oft während der Schulferien in Marbach zu Besuch. „Tante Lotte war immer eine große Unterstützung“, sagt Thea Scholz und ihr Mann Günther ergänzt: „Und manchmal der rettende Engel.“

Im Alter von 72 Jahren verstarb nach einer schweren Krankheit auch der zweite Mann von Charlotte Vogel. Für die Pflege ihrer Schwägerin zog sie erneut um: Für sieben Jahre nach Altötting in Bayern.

Ihren Lebensabend wollte sie dort allerdings nicht verbringen, sondern in ihre Heimat zurück. Deshalb klingelte eines Tages bei Großnichte Katrin Scholz-Machnikowski das Telefon. Die plante den Bau eines Einfamilienhauses. „Ich habe sie gebeten, für mich eine Einliegerwohnung mitzubauen“, erzählt die Seniorin. „Das Haus war schon projektiert. Da haben wir noch einmal umgeplant“, sagt Katrin Scholz-Machnikowski. So zog Tante Lotte 1996 wieder nach Roßwein zurück. Ein letztes Mal packte sie die Koffer vor drei Jahren, als sie von der Einliegerwohnung in eine kleine Wohnung im Hochparterre wechselte.

Dort empfing sie am Montagvormittag auch Freunde und Bekannte. Für das Kaffeetrinken und Abendessen gab es wieder einen Umzug. Aber nur einen ganz kleinen. Mit der Familie feierte die Jubilarin ihren nicht alltäglichen Geburtstag im Café Lusini in Roßwein.